Interview mit Dr. Ulrich Küsthardt (Evonik Senior Fellow, Evonik Operations GmbH)
8. Februar 2021
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Dr. Annette Nietfeld: “Rheticus” – ein ungewöhnlicher Projekt-Name. Was verbirgt sich dahinter?
Dr. Ulrich Küsthardt: Rheticus ist aus dem Kopernikus-Projekt Power-to-X entstanden, daher auch der ungewöhnliche Projektname: Denn historisch gesehen war Rheticus ein Schüler von Kopernikus, der dessen Lehre verbreitet hat. Das Ziel ist es, erneuerbare Energie stofflich zu speichern. Allerdings nicht mit klassisch-chemischen Power-to-X-Verfahren. Bei Rheticus übernehmen Bakterien diese Arbeit. Dank ihnen entstehen in einer Art künstlichen Photosynthese aus Strom, CO2 und Wasser für die Chemieindustrie unverzichtbare Spezialchemikalien.
Dr. Annette Nietfeld: Welchen Beitrag leistet Rheticus zum Green Deal bzw. zur Nationalen Wasserstoff-Strategie?
Dr. Ulrich Küsthardt: Bis 2050 will Europa und damit auch die Bundesrepublik weitestgehend klimaneutral werden. Um dieses Ziel erreichen zu können, braucht es Wege, die Treibhausgasemissionen nicht nur zu reduzieren, sondern zusätzlich das Kohlendioxid (CO2), das in manchen Prozessen unvermeidlich ist, als Rohstoff zu nutzen statt es als Abgas in die Atmosphäre entweichen zu lassen. Das Projekt Rheticus hat genau das vor: Diese innovative Technologie kann in Zukunft einen wichtigen Beitrag für eine „Grüne Wasserstoff- und Kreislaufwirtschaft“ leisten.
Dr. Annette Nietfeld: Warum ist die Kooperation von Siemens Energy und Evonik so entscheidend für den Erfolg von Rheticus und welche Rolle spielt die öffentliche Förderung des Projekts für Sie?
Dr. Ulrich Küsthardt: Wenn man sich einen von der Natur über mehr als 3 Milliarden Jahre optimierten Prozess – die Photosynthese – als Vorbild nimmt, um daraus ein industriell nutzbares Verfahren zu entwickeln, braucht man neben Forschergeist und Mut vor allen Dingen Kompetenzen, die man häufig nicht alle im eigenen Unternehmen findet. Dann ist es klug und schneller mit Partnern, die diese Kompetenzen mitbringen, zu kooperieren. Genau dies haben Siemens Energy und Evonik getan. Da dieses Projekt aber langfristig und risikoreich ist, sind wir auf öffentliche Förderung angewiesen. Mit der vom BMBF öffentlich geförderten Pilotanlage wollen wir auch schnell von der Forschung in die Umsetzung gehen.
Dr. Annette Nietfeld: Was haben Sie im Rheticus-Projekt der Natur abgeschaut?
Dr. Ulrich Küsthardt: Bei der Photosynthese entsteht aus Kohlendioxid und Wasser unter Einwirkung der Sonnenenergie Zucker, den die Natur als organischen Energie- und Synthesebaustein nutzt. Wir nutzen im ersten Schritt, der Ko-Elektrolyse, ebenfalls CO2 und Wasser und erzeugen mit erneuerbarer Energie (z.B. Sonnen oder Windenergie) Wasserstoff und Kohlenmonoxid, sogenanntes Synthesegas. Im zweiten Schritt – der Fermentation – wird mittels Mikroorganismen (anaerobe Bakterien) das Synthesegas in nützliche Spezialchemikalien umgewandelt. Damit machen wir aus einem klimaschädlichen Treibhausgas einen wertvollen Rohstoff.
Dr. Annette Nietfeld: Welche Produkte können mit der Rheticus-Technologie hergestellt werden?
Dr. Ulrich Küsthardt: Die von uns verwendeten Mikroorganismen produzieren Spezialchemikalien wie Butanol und Hexanol, die sonst aufwendig und mehrschrittig hergestellt werden müssten. Aus Hexanol lassen sich Kunststoffe, Nahrungsergänzungsmittel und andere Spezialchemikalien herstellen. Und genau das ist der Plan. Da es sich um eine Technologie-Plattform handelt, ist aber auch die Herstellung synthetischer Kraftstoffe denkbar.