Interview mit Susanne Fabry (E.ON SE)
24. Februar 2020
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Dr. Annette Nietfeld im Gespräch mit Susanne
Fabry (Leiterin Steuerung Deutsche Netze, E.ON SE)
Dr. Annette Nietfeld: Was
erwarten Sie sich bzw. E.ON von dem neuen Veranstaltungsformat „ENERGIE.CROSS.MEDIAL“?
Susanne Fabry: Der konzeptionelle
Ansatz von „ENERGIE.CROSS.MEDIAL“ hat uns überzeugt, dabei zu sein. Hier sind
die Netzbetreiber nicht unter sich, um die Netzthemen zu diskutieren. Dafür
gibt es einige Veranstaltungen. Bei „ENERGIE.CROSS.MEDIAL“ kommen neben den
Netzbetreibern auch Vertreter der energieintensiven Industrie, der
Mobilitätsanbieter, der Wohnungswirtschaft und der Technologieanbieter
zusammen, um gemeinsam die Ideen der jeweils anderen Branchen zu diskutieren
und dabei die eigenen spezifischen Anforderungen und Möglichkeiten
einzubringen.
Dr. Annette Nietfeld: Durch die Übernahme von innogy
wird E.ON zu einem der größten europäischen Energie-Unternehmen. Wo sehen Sie
die Vorteile dieser Übernahme?
Susanne Fabry: Mit
der gebündelten Erfahrung in der Entwicklung von innovativen Lösungen aus
beiden Unternehmen reizen wir die Möglichkeiten der erneuerbaren Energien voll
aus – egal ob es um Netze oder Kundenlösungen bei Strom und Gas geht. Und mit
unserer künftig noch stärkeren internationalen Präsenz können wir unseren
Kunden noch gezielter dabei helfen, Energie effizienter zu nutzen, Kosten zu
senken sowie ihren CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Städte und Gemeinde werden wir
noch gezielter vor Ort bei einer nachhaltigen Stadtentwicklung z.B. durch
innovative Quartierslösungen unterstützten können und gemeinsam die
Energiewende aktiv voranbringen.
Dr. Annette Nietfeld: Die „neue E.ON“ betreibt nach der Integration von
Innogy nun 700.000 km Stromnetz 100.000 km Gasnetz. Welche Potentiale liegen in
den Netzen für die Kopplung der verschiedenen Verbrauchssektoren und damit für
die Dekarbonisierung von Wärme, Mobilitäten und industriellen Prozessen?
Susanne Fabry: E.ON
bekennt sich schon seit langem uneingeschränkt zu den Klimaschutzzielen 2030
und 2050, die sich Deutschland und die EU gesetzt haben. Bei der Erreichung
dieser Ziele kommt den Verteilnetzen eine entscheidende Bedeutung zu:
Die erneuerbare Energiewelt von morgen wird
zunehmend dezentral: schon heute sind 95 % der EE-Anlagen deutschlandweit im
Verteilnetz angeschlossen. Auch die Sektorkopplung wird größtenteils im
Verteilnetz umgesetzt werden. Nur durch die intelligente Verknüpfung von Strom-
und Gasinfrastrukturen werden wir die erneuerbaren Energien optimal nutzen und
in das Gesamtsystem integrieren können. Was im Strom schon Realität ist, wird
deswegen zunehmend auch für Gas gelten: Erzeugung und Gewährleistung von
Versorgungssicherheit werden auch dezentral stattfinden.
So können Power-to-Gas (P2G)-Anlagen dezentral
erzeugten Strom aus Windkraft- und Solaranlagen in „grünes“ Gas umwandeln.
Dieser „grüne“ Wasserstoff oder – in einem weiteren Schritt erzeugtes
synthetisches Methan – kann direkt in die Gasverteilnetze eingespeist werden.
Lokal und effizient kann das „grüne“ Gas direkt beim Kunden zur
Dekarbonisierung der Wärmeversorgung, von Mobilitätsanwendungen und
industriellen Prozessen eingesetzt werden. Gleichzeitig können wir damit aber
auch Schwankungen in der Erzeugung erneuerbarer Energie ausgleichen und eine
langfristige und sichere Möglichkeit der Energiespeicherung bereitstellen.
E.ON hat die Möglichkeit, mit seinen neun deutschen
Regionalversorgern vor Ort CO2-arme und CO2-freie Energie direkt zum Endkunden
zu bringen. Schon heute stammen in den E.ON Netzgebieten durchschnittlich mehr
als 80 % des Stroms aus erneuerbaren Quellen. Genau diese Voraussetzungen
ermöglichen es E.ON, als regionaler Energiewendepartner mit Strom- und
Gasverteilnetzen, die Dekarbonisierung der Gasnetze und die Sektorkopplung als
zentrales Element der Energiewende systemisch zu verstehen und mit großem
Potential umzusetzen. Mit unserer langjährigen Expertise sowohl im Strom- als
auch im Gassektor und der vorhandenen Infrastruktur wollen wir zum Wegbereiter
der P2G-Technologie werden.
Dr. Annette Nietfeld: Was
braucht es, um den Plan der Dekarbonisierung der Verbrauchssektoren mittels
„grünem“ Gas sowie die Nutzung von PtG als Flexibiltäts- und Speicherinstrument
Wirklichkeit werden zu lassen?
Susanne Fabry: Die
Antwort ist so einfach wie die Umsetzung herausfordernd ist: Denn wir brauchen
einen Markthochlauf von PtG und müssen gleichzeitig die Gasnetze
Wasserstoff-tauglich machen. Und dazu braucht es – neben einem überarbeiteten
ordnungspolitischen Rahmen – vor allem Forschungs- und Pilotprojekte.
E.ON hat dazu im letzten Jahr die bundesweite
Initiative „Grünes Gas aus Grünem Strom“ gestartet. Mit dieser Initiative
wollen wir einen wesentlichen Beitrag zur CO2-Reduktion in den Bereichen Wärme,
Verkehr und Industrie leisten. Wir sehen hier hohes Potenzial durch die
Kopplung der bestehenden, dezentralen Energieinfrastrukturen. Und wir bringen
so erneuerbare Energien effizient in alle Sektoren und damit die Energiewende
2.0 voran.
Die Projekte der E.ON Initiative – vielfach
zusammen mit starken Partnern – sind breit aufgestellt und umfassen sowohl
Forschung als auch Praxis. Dabei verknüpfen wir bestehende Infrastrukturen mit
innovativen Technologien. Wir erforschen eingehend, welche Infrastrukturen in
der Energiewelt von morgen gebraucht werden und welche Anforderungen an diese
bestehen. Zusätzlich werden die Anforderungen an die Marktrahmenbedingungen für
eine Wirtschaftlichkeit von P2G/„grünem“ Gas identifiziert.
Dr. Annette Nietfeld: Frau Fabry,
können Sie uns hier einige Beispiele zu den erwähnten Projekten geben?
Susanne Fabry: Ja,
sehr gerne. Wir sind beispielsweise gerade dabei, die technische Analyse aller
Bauteile der E.ON-Gasnetze, der Haushaltsinstallationen sowie der Endgeräte zur
H2-Verträglichkeit durchzuführen. Dabei wird identifiziert, welche Maßnahmen
für eine höhere Wasserstofftoleranz bis zu 100 Prozent erforderlich sind. Wir
können jetzt schon sagen, dass für eine 20 – 30 prozentige Beimischung von H2
zum Erdgas aus Sicht der Netze keine grundsätzlichen Bedenken bestehen.
Laboruntersuchungen haben auch gezeigt, dass schon heute viele unterschiedliche
Endgeräte mit bis zu 30 Prozent Wasserstoffzumischung betrieben werden können.
Hier erfolgt eine enge Zusammenarbeit mit den Herstellern. Da das technische
Regelwerk derzeit weniger zulässt, als technisch möglich ist, sind
entsprechende Anpassungen zusammen mit dem Deutschen Verein des Gas- und
Wasserfaches (DVGW) erforderlich. Partner nach einer ersten internen
Projektphase sind inzwischen diverse andere VNBs sowie ein Forschungsinstitut
des DVGW.
Dr. Annette Nietfeld: So die
theoretischen Erkenntnisse. Die Herausforderungen werden aber bestimmt auch in
der Praxis bestehen. Gibt es zu den theoretischen Forschungsergebnissen zur Wasserstofftoleranz
der Netze und der Endgeräte auch schon praktische Erfahrungen?
Susanne Fabry: Die
entscheidende Frage ist, ob – neben der Eignung der Netzbauteile – die
installierten Gasgeräte beim Kunden auch unter Praxisbedingungen über einen
längeren Zeitraum zuverlässig mit diesem Brenngasgemisch betrieben werden
können. Dazu gibt es bisher keine praktischen Erfahrungen, da es aktuell kein
Gasnetz gibt, das mit einer Zumischung von 20 Volumen-Prozent Wasserstoff
betrieben wird. Daher haben wir hierzu ein bislang einmaliges Projekt in
Deutschland in einem Teilnetz unseres Regionalversorgers Avacon in
Sachsen-Anhalt in der Region Fläming gestartet: Wir werden dem Erdgas dort
erstmalig einen Anteil von bis zu 20 Volumenprozent Wasserstoff beimischen. Das
Gemeinschaftsprojekt mit dem DVGW soll zeigen, dass es machbar ist, Wasserstoff
zu einem deutlich höheren Prozentsatz in ein existierendes Gasnetz
einzuspeisen, als dies heute im Regelwerk vorgesehen ist.
Im Vorfeld der Wasserstoffeinspeisung testet Avacon
bis zu 400 Heizungen und andere Endgeräte ihrer Kunden in einigen Orten der
Region Fläming „auf Herz und Nieren“. Hierdurch erreichen wir auch eine hohe
Akzeptanz bei den Kunden. Die Wasserstoffbeimischung soll nach derzeitigem
Planungsstand dann Ende 2022 beginnen. Die Ergebnisse des
Gemeinschaftsprojektes sollen als Vorbild für den zukünftigen Einsatz von
Wasserstoff in Gasverteilnetzen dienen.
Dr. Annette Nietfeld: Frau
Fabry, wie ergänzen die Projekte der bisherigen Innogy im Bereich Wasserstoff
die E.ON „Initiative Grünes Gas aus Grünem Strom“?
Susanne Fabry: Auch
innogy entwickelt ihre Infrastruktur zielgerichtet für Gase mit verringertem
CO2-Gehalt und erprobt die Anwendung in verschiedenen Pilotprojekten. Jüngstes
Beispiel ist hier das Projekt „SmartQuart“, das als erstes der neuen
„Reallabore der Energiewende“ des Bundeswirtschaftsministeriums am 1. Januar an
den Start gegangen ist. Im Rahmen des Projekts werden einzelne Quartiere in den
Städten Kaisersesch in Rheinland-Pfalz sowie Essen und Bedburg in
Nordrhein-Westfalen jeweils in sich und miteinander vernetzt. So sollen sich
die unterschiedlich strukturierten Quartiere im systemischen Verbund nachhaltig
und wirtschaftlich ergänzen und Energie untereinander austauschen. Ziel des
Projektes ist es, den Einsatz fossiler Energieträger in den Projektquartieren
weitgehend überflüssig zu machen. Jedes Quartier hat dabei seinen eigenen
Schwerpunkt, in Kaisersesch ist es das Thema Wasserstoff.
In der Gemeinde wird ein wasserstoffbasiertes
Microgrid errichtet. Mit diesem lokalen Wasserstoffnetz soll die gesamte
Wertschöpfungskette von der Erzeugung, Umwandlung, Speicherung, Verteilung
sowie Nutzung regenerativer Energie durch den Endverbraucher erprobt werden:
Geplant ist, lokal erzeugten „grüner“ Strom mittels einer geplanten
1-MW-Power-to-Gas-Anlage im Quartier in „grünen“ Wasserstoff umzuwandeln und
dann in das lokale Wasserstoffnetz einzuspeisen. Für die Einbindung des
Verkehrssektors in das Projekt ist geplant, eine Wasserstofftankstelle an das
Microgrid anzuschließen und eine Buslinie mit drei Bussen auf 100 %
Wasserstoffbetrieb umzurüsten. Im Wärmesektor soll Wasserstoff in neu
entwickelten hocheffizienten Brennnstoffzellen bei verschiedenen Endkunden,
z.B. im Rathaus oder diversen Industriekunden, eingesetzt werden, um effizient
gekoppelt Strom und Wärme zu erzeugen. Außerdem wird die bei der Elektrolyse
sowie die bei der Wasserstoffspeicherung anfallende Abwärme im lokalen Klärwerk
genutzt.
Diese Systemlösung bietet die Möglichkeit, die
Sektorkopplung zur Dekarboisierung der verschiedenen Verbrauchssektoren in
einem Demonstrationsprojekt im realen Umfeld umzusetzen, Erfahrungen mit einer
Wasserstoffinfrastruktur inklusive Endanwendung zu sammeln und eine Blaupause für
weiter Sektorkopplungslösungen zu schaffen.
Dr. Annette Nietfeld: Frau
Fabry, Sie erwähnten die Notwendigkeit zur Anpassung der aktuellen
Marktrahmenbedingungen für einen Markthochlauf von „grünem“ Gas. Was meinen Sie
damit konkret?
Susanne Fabry: Der noch
nicht verabschiedete Entwurf der Wasserstoff-Strategie der Bundesregierung
zeigt die klare Absicht, das Thema Wasserstoff ernsthaft mit politischer und
auch finanzieller Unterstützung voran zu treiben. Dies geht aus meiner Sicht
genau in die richtige Richtung. Wichtig ist allerdings, dass der angekündigte
Aktionsplan im Rahmen der Wasserstoffstrategie auch konkrete Maßnahmen für
einen Markthochlauf von Power-to-Gas, für entsprechend erforderliche
Infrastrukturinvestitionen sowie für die Einbindung von „grünem“ Gas in das
zukünftige Energiesystem enthält. Dabei müssen zum einen die Kosten für die
Grüngasproduktion nachhaltig gesenkt und zum anderen Absatz-/Erlöspotential für
„grünes“ Gas geschaffen werden. Hier ist eine Anpassung des ordungspoltischen
Rahmens unabdingbar.
Da „grünes“ Gas aus „grünem“ Strom produziert wird,
muss Strom generell günstiger werden, Abgaben und Umlagen müssen sinken:
Aufgrund der Tatsache, dass die Power-to-Gas-Anlage kein Endverbraucher ist,
die den Strompreis belastenden Bestandteile (Stromsteuer, Mehrwertsteuer und
EEG-Umlage) aber Endverbraucherabgaben sind, müssen wir diese bei der Erzeugung
von „grünem Gas“ streichen. Und begleitend brauchen wir weitere Forschungs- und
Förderungsprogramme sowie eine Überarbeitung des regulatorischen Rahmens zur
Investitionsförderung in die Netze. Um den Markthochlauf von
Power-to-Gas-Anlagen zu ermöglichen, schlagen wir darüber hinaus jährliche
Kapazitätsausschreibungen im Gigawattbereich vor. Gleichzeitig muss der Anteil
fossiler Gase kontinuierlich zurückgefahren und der Absatz an „grünem Gas“
gesteigert werden. Dies kann zum einen über eine Beteiligung von fossilen
Energieträgern an den Energiewendekosten über eine sachgerechte CO2-Bepreisung
erreichet werden oder aber auch durch die Einführung einer technologie- und
herkunftsoffenen Grüngasquote.
Ich bin davon überzeugt, Wasserstoff ist kein Hype
und kann Realität werden, wenn Politik und Unternehmen in Zukunft die richtigen
Schwerpunkte setzen.
Dr. Annette Nietfeld: Frau
Fabry, vielen Dank für dieses Interview, wir freuen uns darauf, von Ihnen im
Rahmen Ihres Vortrages bei „ENERGIE.CROSS.MEDIAL“ mehr von den verschiedenen
Forschungsprojekten zu erfahren und die Ergebnisse – soweit schon vorhandenen –
mit den anderen Stakeholdern zu diskutieren.