Zur Vorbereitung der ENERGIE.CROSS.MEDIAL sprach Johann Terres vom Forum für Zukunftsenergien mit Prof. Dr. Gerald Linke, dem Vorstandsvorsitzenden des DVGW Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e.V.
Johann Terres: Herr Prof. Linke, Sie werden auf der ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2024 zur Gleichzeitigkeit der Transformation der Energieinfrastruktur sprechen. Was meint hierbei die Gleichzeitigkeit?
Prof. Linke: Wir haben hier verschiedene Gleichzeitigkeiten vorliegen: Zum einen werden die Infrastrukturen für Strom, Gase und Wärme umgebaut und vor allem ausgebaut werden müssen. Zum anderen stellt sich in jeder einzelnen Sparte die Aufgabe, Infrastruktur entlang der Wertschöpfungskette aufzubauen, etwa Stromerzeugungskapazitäten auf der einen Seite oder neue Wasserstoff-Import-Anlagen oder solche für Derivate auf der anderen Seite. Aber auch auf kommunale Eben bis in die Haushalte der einzelnen Kunden besteht Investitionsbedarf.
Johann Terres: Welche Hürden gibt es, die eine gleichzeitige Transformation der Bereiche der Energieinfrastruktur erschweren?
Prof. Linke: Die erste Hürde wird das Aufbringen des Kapitalbedarfes sein. Die zweite Hürde ist eine gut ineinandergreifende Gesamtplanung und die Logistik der Umsetzung. Daher ist es nicht nur zeit- sondern vor allem kostensparend, bestehende Infrastruktur wie etwa die Gasnetze auch zukünftig für die Wasserstoffbereitstellung vor Ort einzusetzen. Hier muss die Gaswirtschaft die Hürde nehmen, Top-down-Planungen der Fernnetzbetreiber (FNB) mit denen der Verteilnetzbetreiber (VNB) – insbesondere mit ihren nach dem Gebäudeenergiegesetz geforderten Transformationsplänen – zu verknüpfen, um eine optimierte Regionalplanung vorlegen zu können.
Johann Terres: Welche regulatorischen Maßnahmen braucht es, um den Transformationsfortschritt zu beschleunigen?
Prof. Linke: In der Energiewirtschaft bestehen hochkomplexe wechselseitige Abhängigkeiten zwischen Anlagevermögen und Rohstoffen. So hätten wir beispielsweise ohne eine rasche Sicherung von LNG-Verdampfungskapazitäten keine global orientierte LNG-Vertragsoptionen erhalten. Ein erfolgreicher Prozess kann also grundsätzlich nur gelingen, wenn dieser von einer Seite zunächst mit Entscheidungsfreude angestoßen wird. Das gleiche Muster sieht man bei der Entscheidung zum Bau des Wasserstoffkernnetzes. Dies eröffnet neue Geschäfts- oder Dekarbonisierungs-Optionen, die sich bis dato in der Schwebe befanden und nun schlagartig ermöglicht wurden. Ich denke dabei beispielsweise an den Erhalt der Stahlproduktion in Deutschland, die zukünftig durch den Import von Wasserstoff gesichert werden kann. In diesem Zusammenhang ist es wichtig anzumerken, dass ein hochindustrialisiertes Land wie Deutschland immer schon additiv Energie von außerhalb bezogen hat. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Maßnahmen, die den Transformationsfortschritt beschleunigen würden, sind solche, die Unsicherheiten aus dem System nehmen. Hierzu gäbe es eine ganze Reihe an notwendigen Aktionen, angefangen von eindeutigen und einfach umsetzbaren Herkunftsnachweismechanismen für grüne Gase bis hin zu ordnungspolitischen Maßnahmen zur Abfederung der anfänglich erhöhten Wasserstoffbezugskosten – ähnlich dem Inflation Reduction Act (IRA) in den USA.
Johann Terres: Wie kann in Deutschland eine sinnvolle Sektorenkopplung gelingen?
Prof. Linke: Sektorenkopplung assoziiert man häufig mit Power-to-X. Ob „X“ nun Wärme oder Wasserstoff ist, sei einmal dahingestellt. Es fehlt aber sowohl an der „Power“ als auch an der Umsetzung des angekündigten Elektrolyse-Hochlaufes. Wir sind weit entfernt von 10, 30 oder mehr Gigawatt-Elektrolysekapazität. Sektorenkopplung kann aber auch als Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) verstanden werden. Wer derzeit im Zuge einer kommunalen Wärmeplanung oder Netzregionalplanung an den Ausbau der Wärmenetze denkt, der muss im gleichen Atemzug einen Plan für die Dekarbonisierung der Wärmeeinspeisung haben. Das kann mit wasserstofffähigen KWK-Anlagen gelingen. So oder so, beide beschriebenen Fälle zeigen: ohne Wasserstoff wird uns weder die Wärmewende mit Wärmenetzen noch mit Gasnetzen gelingen und auch das Stromsystem kann somit nicht den Resilienz-Härtegrad erreichen, den wir mitten im Umbau unseres Energiesystem so dringend benötigen.