Zur Vorbereitung der ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2024 sprach Johann Terres mit Holger Kreetz, dem COO von Uniper, zur Versorgungssicherheit durch Technologieoffenheit und zum Wasserstoffhochlauf in Deutschland.
Johann Terres: Herr Kreetz, Sie werden auf der ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2024 zum Thema Versorgungssicherheit sprechen. Wie sicher ist Deutschlands Energieversorgung zurzeit?
Holger Kreetz: Die Gasversorgungslage in Deutschland ist entspannt, da der Winter mild war, die Konjunktur schwach ist und neue LNG-Importkapazitäten vorhanden sind, woran Uniper Ende 2022 in Wilhelmshaven maßgeblich beteiligt war. Die Gasspeicher sind z. Zt. mit etwa 75% gut gefüllt. Für ein Gelingen des Wasserstoffhochlaufs und gleichzeitig für eine Aufrechterhaltung der Gasversorgungssicherheit, sehen wir die Notwendigkeit für ein integriertes Regime für Gas- und Wasserstoffspeicher. Gleichzeitig sollten ausgewogene, marktbasierte Anreize für die Betreiber von Erdgasspeichern enthalten sein. Die zwar abnehmenden, aber noch viele Jahre notwendigen Gasspeicherkapazitäten müssen in erforderlichem Umfang weiter betrieben werden können, ebenso wie die Speicherkapazitäten für Wasserstoff. Für den deutschen Strommarkt ist die praktische Umsetzung der Kraftwerksstrategie wichtig, damit die Versorgungssicherheit mittels gesicherter Kraftwerkskapazität auf festem Boden steht. Nächstes Jahr werden weitere sieben Gigawatt Kohlekraftwerke, die vorübergehend aus der Netzreserve zurückgekehrt waren, wieder aus dem Markt ausscheiden. Ab dem 1. April wird Uniper drei Kohlekraftwerke (Heyden, Scholven C und Staudinger) mit einer Kapazität von rund 1,7 GW abschalten. In Deutschland betreiben wir dann nur noch das kohlebefeuerte Kraftwerk Datteln 4. Die Versorgungssicherheit beim Strom sollte nicht „auf Kante genäht“ sein. Uniper steht bereit, in neue zukunftsfähige Kraftwerke zu investieren. Wir begrüßen daher die von der Bundesregierung vorgelegten wesentlichen Elemente einer Kraftwerksstrategie, denn wir brauchen Planungssicherheit zum Rahmen solcher Investitionen.
Ingesamt ist mit Blick auf die Versorgungssicherheit in Deutschland eine zuverlässige und gleichzeitig umweltschonende Energieversorgung Voraussetzung für eine funktionierende Gesellschaft, eine wettbewerbsfähige Wirtschaft und eine erfolgreiche Energiewende. Uniper hat sich zum Ziel gesetzt, seine Kunden sicher und zuverlässig mit Strom, Gas und Wärme zu versorgen und diese Energie gleichzeitig immer klimafreundlicher zu gestalten.
Johann Terres: Technologieoffenheit wird immer gefordert. Egal ob wir auf den Mobilitätssektor schauen oder auf die Stromerzeugung. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber so viele Bedingungen in den Gesetzen und dem entsprechenden untergesetzlichen Regelwerk formuliert, dass die in Frage kommenden Technologien so begrenzt sind, dass von Technologieoffenheit nicht mehr die Rede sein kann. Warum also verabschiedet sich die Branche nicht von dieser Forderung?
Holger Kreetz: Die industrielle Transformation ist herausfordernd, gerade auch deren schnelle und bezahlbare Umsetzung, um Wohlstand und Arbeitsplätze in Europa nachhaltig zu sichern. Dies erfordert Technologieoffenheit, diese bleibt eine wichtige Grundvoraussetzung für Innovation, hierauf können wir im Zuge der Transformation des Energiesektors mit den ambitionierten Dekarbonisierungszielen nicht verzichten. Zu starre bzw. ideologisch erschwerte Bedingungen für Technologien in Gesetzen und dem untergesetzlichen Regelwerk bringen die Energiewende nicht nach vorne. Lassen Sie mich ein konkretes Beispiel geben.
Es besteht z. B. ein Bedarf an Technologieneutralität und Pragmatismus, wenn es um kohlenstoffarmen Wasserstoff geht: Die aktuellen geopolitischen Ereignisse und der Krieg in der Ukraine verleihen dem Übergang Europas zu einer Netto-Null-Energieversorgung eine neue, noch schärfere strategische Dimension. Wasserstoff ist mehr denn je entscheidend für die Dekarbonisierung und Diversifizierung unseres Energiemixes. Angesichts des Ausmaßes der Herausforderungen, vor denen wir stehen, werden alle Wasserstoffquellen benötigt: kurz- und mittelfristig kohlenstoffarmer Wasserstoff und mittel- und langfristig erneuerbarer Wasserstoff. Damit sich Wasserstoff rasch durchsetzen kann, sollten Kosteneffizienz, Kostenwirksamkeit und Technologieneutralität im Mittelpunkt stehen. Dies erfordert klare Definitionen für kohlenstoffarmen und erneuerbaren Wasserstoff, die sich auf den Kohlenstoffgehalt dieser Gase stützen sollten. Um die Kostenlücke zwischen erneuerbarem/kohlenstoffarmem Wasserstoff und seinen fossilen Äquivalenten weiter zu schließen, könnten nachfrageseitige Maßnahmen wie Quoten und Kohlenstoffdifferenzverträge (ʻCCfDʼ) gefördert werden, sofern sie die Anreize des EU-Emissionshandelssystems nicht untergraben oder ersetzen.
Johann Terres: Welchen Beitrag könnte Technologieoffenheit Ihrer Meinung nach zur Versorgungssicherheit leisten?
Holger Kreetz: Technologieoffenheit fördert die Entwicklung und Integration unterschiedlicher Energieträger und Technologien. Damit können wir flexibler auf die sich ändernden Bedürfnisse und Ressourcenanforderungen reagieren und reduzieren so das Risiko von Engpässen und Störungen. Technologieoffenheit ermöglicht eine Anpassung an die Herausforderungen, die uns im Rahmen der Energiewende in den nächsten Jahren begegnen werden.
Mit Blick auf die Versorgungssicherheit Strom: Deutschland braucht eine zukunftsgerichtete Strategie für die Stromerzeugung. Wir steigen aus Kohle und Kernkraft aus, aber wir steigen nirgendwo ein. Deutschland braucht jetzt einen Kapazitätsmarkt, technologieoffen und umfassend. Nur so kann dauerhaft gewährleistet werden, dass die Spitzenlast auch gedeckt wird, also auch in Zukunft von einer Dunkelflaute im Winter keine Gefahr für den deutschen Strommarkt ausgeht. Daher ist wichtig, den Übergang der Neukraftwerke in ein zukünftiges Kapazitätsmarktregime bereits jetzt zu regeln, damit dies von den Marktakteuren eingepreist werden kann. Dabei ist Technologieoffenheit beim Neubau sehr zu empfehlen, damit die Fokussierung auf H2-ready-Kraftwerke andere Wege der Dekarbonisierung (z.B. Biomasse, Hydrierte Pflanzenöle, CCS/CCU) nicht frühzeitig ausschließt.
Auch für die zukünftige sichere Versorgung mit Gas, das wir bei Uniper zunehmend dekarbonisieren wollen, ist ein technologieoffener Ansatz mit verschiedenen Instrumenten wesentlich. Die Umstellung vom klassischen Erdgas auf klimafreundlicheren Wasserstoff wird nicht anders funktionieren. Der Markthochlauf von Wasserstoff muss vom Kunden her gedacht werden: Vor allem grüner Wasserstoff, ist heute noch signifikant teurer als Vergleichsprodukte. Hier brauchen wir also Mechanismen, um Kunden langfristig an die notwendigen Asset-Investitionen zu binden. Das kann man z. B. über sog. Contracts for Difference oder ähnliche Instrumente erreichen. Parallel muss der Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung mit höchster Priorität vorangetrieben werden, denn nur mit Grünem Strom zu wirtschaftlichen Konditionen kann die Grüne Wasserstoffproduktion wettbewerbsfähig werden. Für die nächste Marktphase brauchen wir den Hochlauf der Infrastruktur: Netze, Speicher und Import-Terminals. So brauchen wir etwa bei den Import-Terminals schnellstmöglich einen klaren Investitionsrahmen. Allein in Deutschland werden wir bis 2030 Terminal-Importkapazitäten in einem Volumen von 45 bis 70 TWh brauchen. Davon könnten wir mit unserem Projekt „Green Wilhelmshaven“, einem vergleichsweise großen Projekt, 10 bis 15% sichern. Technologieoffenheit trägt ingesamt dazu bei, die Versorgungssicherheit zu stärken, indem sie Flexibilität und Anpassungsfähigkeit in einem sich wandelnden Energiesystem ermöglicht.