Zur Vorbereitung der ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2024 sprach Johann Terres, Praktikant im Forum Für Zukunftsenergien e.V., mit Dr. Harald Schwager, dem stellv. Vorsitzenden des Vorstandes der Evonik Industries AG.
Johann Terres: Herr Dr. Schwager, Sie verantworten in Ihrem Haus, der Evonik Industries AG, u.a. den Bereich Innovation. Bezüglich welcher Felder sehen Sie den größten Innovationsdruck in der Chemieindustrie?
Dr. Harald Schwager: Den Klimawandel abmildern, ist eine große Aufgabe. Sie kann nur gelingen, wenn wir deutlich weniger Ressourcen verbrauchen und an unserer Energieeffizienz arbeiten. Eine echte Kreislaufwirtschaft ist dafür unerlässlich. Die chemische Industrie trägt mit innovativen Materialien, neuen Verfahren und Zusatzstoffen dazu bei, den Weg für das Recycling bereits genutzter Produkte zu ebnen. Sie machen das werkstoffliche Recycling effizienter und ermöglichen ein sinnvolles chemisches Recycling auch über die einfache Pyrolyse hinaus. Die Umwandlung von Abfällen in Wertstoffe erfordert das Know-how der chemischen Industrie. In einem echten Kreislauf wird Abfall recycelt und wird zu wertvollen Rohstoffen für neue Produkte. Wir müssen jedoch schnell sein, denn unsere Innovationen werden jetzt benötigt, um die Kreislaufwirtschaft in der Zukunft zu ermöglichen.
Johann Terres: Auf der ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2024 werden Sie zum Klimaschutz durch Innovation sprechen. Mittels welcher Innovationen leistet Evonik einen Beitrag zum Klimaschutz? Die chemische Industrie versteht sich diesbezüglich ja als Enabler.
Dr. Harald Schwager: Evonik hat seine Wachstumsfelder ganz klar auf Produkte mit hohem Nachhaltigkeitsnutzen für unser Kunden ausgerichtet. Der Anteil dieser next generation solutions soll bis 2050 einen Anteil von 50 Prozent am Umsatz ausmachen. Schon heute stellt Evonik elf Produkte her, die die Leistungsfähigkeit und Langlebigkeit von Windkraftanlagen verbessern: Mit unseren Epoxidharzen z.B. können die Spitzen der Rotorblätter Drehungen von bis zu 400 Stundenkilometern aushalten. Mit unseren Hochleistungsmaterialien sind wir auch heute schon Enabler für die Wasserstoffwirtschaft. Dazu gehören Hochleistungskunststoffe für Wasserstoffpipelines und Drucktanks beim Transport bzw. Import von Wasserstoff sowie Membrane, die im Erdgasverteilnetz den steigenden Wasserstoffanteil effizient separieren können.
Johann Terres: Innovationen wecken positive Assoziationen, der Weg zu neuen Erfindungen ist aber oft steinig. So muss man als Unternehmen damit rechnen, dass es viele bürokratische Hürden auf dem Weg zum innovativen Produkt gibt. Die Politik macht mitunter auch bei der Stoffpolitik Vorgaben, die am Ende die notwendige Erlaubnisse oder Zulassungen nicht ermöglichen. Wie groß ist das Vertrauen der chemischen Industrie in die Zuverlässigkeit der Politik?
Dr. Harald Schwager: Innovative Produkte benötigen eine Zulassung, aber auch Produktionsanlagen müssen genehmigt werden. Unternehmen machen die Erfahrung, dass die langen Verfahren und die damit verbundene Rechtsunsicherheit das größte Investitionshindernis ist. Planungs- und Genehmigungsverfahren waren einmal ein Standortvorteil für Deutschland, derzeit geht fast nichts mehr unter zwei Jahren. Auf dieser Strecke werden bis zu acht Gutachten gefordert. Die Bundesgesetze sind oft nicht mehr klar auslegbar, so dass mit Gutachten einer Klageflut vorgebeugt werden soll. Das bündelt sowohl finanzielle wie auch Personenressourcen. Unsere Ressourcen würden wir lieber in die Entwicklung von Innovationen geben! Gesetze werden häufig ohne Praxischeck gemacht. Nehmen wir als Beispiel aus der Stoffregulierung: den PFAS-Beschränkungsvorschlag. Hier ist man – sicherlich zu Recht – zu dem Schluss gekommen, dass Stoffe wie Skiwachs nicht einfach für immer in der Umwelt bleiben sollen. Aber statt sich alle 10.000 PFAS im Detail mit ihrem Nutzen und ihrer Wirkung anzugucken, sollte es ein komplettes Verbot geben. Bei der konkreten Umsetzung auf europäischer und nationaler Ebene stellt der Gesetzgeber dann aber fest, dass es doch unverzichtbar Anwendungen gibt. Nehmen wir unsere Lipid-Launch-Anlage in Hanau: Dort stellen wir Lipide für den mRNA-Impfstoff gegen Corona her. Alternativen zu den dort verwendeten PFAS-haltigen Dichtungen in den Anlagen sind nicht gegen die Vielzahl der verwendeten Säuren oder Laugen beständig. Auch können Behälter ohne PFAS-haltige Beschichtungen nicht dieselbe Reinheit garantieren, die wir bei Medikamenten unbedingt benötigen. Werden keine Ausnahmen geschaffen, kann die Industrie in Europa demnächst de facto nicht mehr produzieren. Hier können einem schon mal graue Haare wachsen. Entscheidend für das Vertrauen, ist und bleibt es, im Gespräch zu bleiben.
Johann Terres: Die Transformation der Volkswirtschaft soll aus Gründen des Klimaschutzes möglichst schnell gehen. Welche Unterstützung seitens der Regierung wünschen Sie sich, um es zu ermöglichen, Innovationen schneller zu entwickeln und zu befördern?
Dr. Harald Schwager: Die Mutter der Transformation ist eine gelingende Energiewende. Wir brauchen Energie, die sicher, sauber und bezahlbar zur Verfügung steht. Mit Blick auf die Transformation der Chemie benötigen wir nicht nur eine Stromwende, sondern auch den Hochlauf einer treibhausgasarmen Wasserstoffwirtschaft. Beides muss pragmatisch vorangehen, so dass eine verlässliche und bezahlbare Versorgung sichergestellt ist. Für diesen Rahmen ist die Politik verantwortlich. Dazu gehört es, nicht nur aus Technologien auszusteigen sondern auch offen in Technologien einzusteigen, wie z.B. in die Carbon Capture and Storage oder Usage Technologien oder die Förderung von Elektrolyseuren zur Erzeugung von grünem Wasserstoff. Entsprechende Förderprogramme bedürfen einer vernünftigen finanziellen Ausstattung und einer einfachen Umsetzung, damit Anreize für early mover wirksam werden. Auch für Anlagen zum scaling up der Transformationstechnologien braucht es neue Förderkonzepte und vereinfachte Genehmigungsverfahren. Unsicherheiten, wie sie durch die letzte Haushaltsdebatte im Bundestag entstanden sind, können wir für die notwendigen transformativen Investitionsentscheidungen auf dem Weg zur Klimaneutralität nicht brauchen. Im Gegenteil: Sie bremsen den Fortschritt.
Johann Terres: Natürlich darf der Blick über den Tellerrand nicht fehlen. Was könnte hier besser gemacht werden, wenn wir uns beispielsweise an den USA ein Beispiel nehmen würden?
Dr. Harald Schwager: Ein gutes Beispiel ist sicher der IRA (Inflation Reduction Act), den die Biden Administration im August 2022 verabschiedet hat. Mit einem Finanzvolumen von rd. 370 MRD US-Dollar werden über eine steuerliche Incentivierung in diversen Sektoren Investitionen in klimaneutrale Technologien angereizt. Diese Steuergutschriften sind zudem nicht gedeckelt, so dass sich bei steigender Inanspruchnahme die Fördersumme erhöht. Gleichzeitig flankieren die US-Bundestaaten diese Investitionen mit langfristig sehr wettbewerbsfähigen Energiepreisen. Das sind dann schon sehr attraktive Rahmenbedingungen für international operierende Unternehmen. Ein weiterer nicht zu unterschätzender Pluspunkt: Die bürokratischen Hürden bei der Beantragung der Fördermittel sind -im Gegensatz zu Europa – wesentlich geringer. Hierzulande müssen Unternehmen teilweise einen erheblichen Aufwand an Zeit und Kosten aufwenden, um an entsprechende Investitionsbeihilfen zu gelangen.
Johann Terres: Vielen Dank für das Gespräch und den kurzen Ausblick auf die bevorstehende ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2024.