Interview mit Prof. Dr. Küchen

Zur Vorbereitung der ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2024 sprach Johann Terres, Praktikant im Forum für Zukunftsenergien e.V., mit Prof. Dr. Küchen, Hauptgeschäftsführer von en2x – Wirtschaftsverband Fuels und Energie e.V.

Johann Terres: Herr Prof. Küchen, Sie fordern die „Molekülwende“. Was ist damit gemeint?

Prof. Christian Küchen: Wir haben die Situation, dass zwar immer von einer Energiewende geredet wird, in der Realität aber immer nur eine Stromwende gemeint ist. Strom macht jedoch nur 20 Prozent des Energieverbrauchs in Deutschland aus. 80 Prozent der Energie sind Moleküle, vor allem in Form von Gasen, Ölprodukten und Kohle. Während die Stromwende bereits deutliche Fortschritte gemacht hat, ist der erneuerbare Anteil bei Molekülen bisher gering. Um die Klimaziele zu erreichen, brauchen wir also nicht nur erneuerbaren Strom, sondern für viele Anwendungen auch grüne Moleküle.

Johann Terres: Warum brauchen wir grüne Moleküle für die Energiewende?

Prof. Christian Küchen: Grüne Moleküle in Form von Kohlenwasserstoffen sind nicht nur als Energieträger, sondern z. B. für die chemische Industrie und weitere Grundstoffindustrien als Rohstoffe unverzichtbar. Dasselbe gilt für Schiff- und Luftfahrt sowie für Fahrzeuge und Aggregate in den Bereichen Landwirtschaft, Feuerwehr, Katastrophenschutz und Militär. Und natürlich brauchen wir auch Moleküle, um in Zeiten der Dunkelflaute eine sichere Stromversorgung gewährleisten zu können. Batteriespeicher allein werden das nicht leisten können.

Johann Terres: Unterschätzen Sie nicht die fortschreitende Elektrifizierung mit Ökostrom?

Prof. Christian Küchen: Sicher: Insgesamt wird durch Elektrifizierung vieler Anwendungen und zunehmende Effizienzsteigerung der Bedarf an Molekülen zur Energieversorgung abnehmen. Er wird aber langfristig aus den genannten Gründen sehr hoch bleiben. Um die Klimaziele dennoch erreichen zu können, ist es daher erforderlich, Moleküle aus heute noch fossilen Quellen so schnell wie möglich durch CO2-neutrale zu ersetzen.  Grüne Moleküle stehen somit nicht in Konkurrenz zur Elektrifizierung, sondern sind zwingend erforderlich für eine nachhaltige und sichere Rohstoff- und Energieversorgung.

Johann Terres: Wie und wo können grüne Moleküle hergestellt werden?

Prof. Christian Küchen: Es wird Anwendungen geben, bei denen Moleküle in Form von Wasserstoff als Energieträger zum Einsatz kommen. Der hierfür erforderliche CO2-neutrale Wasserstoff kann durch Elektrolyse mit erneuerbarem Strom erzeugt werden – der grüne Wasserstoff. Denkbar ist auch die Nutzung von Biomasse oder Biogas zur Herstellung des erneuerbaren Wasserstoffs. Zumindest für eine Übergangszeit wird auch blauer Wasserstoff auf Basis von fossilem Erdgas eine Rolle spielen. Hier wird das bei der Herstellung entstehende CO2 abgeschieden und dauerhaft eingelagert (CCS).

Johann Terres: Ökostrom plus grüner Wasserstoff – reicht das zum Erreichen der Klimaziele?

Prof. Christian Küchen: Nein, denn für viele Anwendungen werden auch Kohlenwasserstoffe benötigt. Da bei der energetischen Nutzung von Kohlenwasserstoffen CO2 entsteht, muss eine vergleichbare Menge an Kohlendioxid der Atmosphäre entnommen werden, anders ist die CO2-Neutralität nicht zu erreichen. Eine Möglichkeit ist die Nutzung von Biomasse, hier übernehmen die Pflanzen das „Recycling“ von CO2. Das ist die heute am meisten verbreitete Technologie zur CO2-neutralen Nutzung von Kohlenwasserstoffen. Eine Alternative ist die Nutzung von kohlenstoffhaltigen Abfall- und Reststoffen wie das Recycling von Kunststoffen. Die dritte Möglichkeit sind technische Verfahren, die CO2 aus industriellen Punktquellen oder aus der Luft filtern. Da auch der Bedarf an Kohlenwasserstoffen hoch bleiben wird, werden wir auf keine dieser Technologien verzichten können.

Johann Terres: Wo lassen sich die grünen Produkte am besten herstellen?

Prof. Christian Küchen: Hier stellt sich die Frage, wo diese Rohstoffe, wie zum Beispiel Biomasse, zur Verfügung stehen. Ein Teil kann aus Deutschland oder Nachbarländern kommen. Kohlenwasserstoffe haben aber den Vorteil, dass sie einfach und effizient auch über lange Strecken transportiert werden können. Wir werden daher – wie heute auch – einen wesentlichen Teil unseres Energiebedarfs durch Importe von Kohlenwasserstoffen decken können und müssen. Das gilt insbesondere auch für die strombasierte Herstellung von grünen Wasserstoffderivaten. Dafür bieten sich Regionen an, die über viel Sonne und Wind verfügen und somit günstigere Bedingungen zur Erzeugung erneuerbaren Stroms aufweisen, als sie hierzulande bestehen. Grüner Wasserstoff und seine Folgeprodukte – wie Ammoniak, Methanol oder synthetisches Rohöl – sind aufgrund Ihrer relativ hohen Energiedichte und guten Transportfähigkeit die beste Möglichkeit, erneuerbare Energie in Form von Molekülen aus aller Welt einzuführen.

Johann Terres: Also Import von Wasserstoff statt Rohöl?

Prof. Christian Küchen: Genau. So wie wir heute Rohöl importieren, um daraus die benötigten Produkte herzustellen, könnten es dann künftig Methanol und synthetisches Rohöl sein. Synthetisches Rohöl kann fossiles Rohöl schrittweise ersetzen und in Raffinerien zunächst gemeinsam mit fossilem Rohöl verarbeitet werden. Methanol kann z. B. direkt selbst als alternativer Kraftstoff eingesetzt werden. Es ist aber auch ein Einsatzstoff für zahlreiche Produktionsverfahren, mit denen dann zum Beispiel Kunststoffe oder auch Kraftstoffe wie Benzin oder Kerosin hergestellt werden können. Dafür müssen wir einen internationalen Markt für synthetisches Rohöl und Methanol entwickeln. Das würde zum einen die Versorgung zu Weltmarktpreisen ermöglichen und zum anderen die industrielle Wertschöpfung in deutschen Raffinerien halten.

Johann Terres: Welche Investitionen sind dafür erforderlich?

Prof. Christian Küchen: Was man jetzt schon sagen kann: Sie sind enorm. Dabei sind die Voraussetzungen unterschiedlich. Die Nutzung von Biomasse erfordert vergleichsweise geringe Investitionen. Trotzdem sind auf Biomasse basierende Kraft- und Brennstoffe bzw. Rohstoffe für die Industrie teurer als die heute eingesetzten fossilen Produkte. Damit sie dennoch zum Einsatz kommen, setzt die Politik heute vor allem auf Quoten. Das funktioniert immer dann, wenn diese Produkte wie z. B. Pflanzenöle grundsätzlich vorhanden sind oder mit geringem Aufwand hergestellt werden können.

Johann Terres: Was wäre neben einer Quotenvorgabe nötig?

Prof. Christian Küchen: Das Hauptinstrument, um vor allem auf Rest- und Abfallstoffen basierende fortschrittliche Biokraftstoffe in den Markt zu bringen, wäre eine ausreichend hohe CO2-Bepreisung. Das könnte z. B. über die von der EU-Kommission vorgeschlagene Neugestaltung der Energiesteuerrichtlinie erfolgen, in Kombination mit einer verlässlichen CO2-Bepreisung durch das deutsche Brennstoffemissionshandelssystem, das durch den EU-Emissionshandel für Wärme und Verkehr abgelöst werden soll. Da Biomasse allein nicht ausreichen wird, um den Bedarf an grünen Molekülen zu decken, werden wird zusätzlich auch Power-to-Liquids (PtL)-Produkte bzw. E-Fuels brauchen. Auch hier können die genannten Maßnahmen die Kostendifferenz zu fossilen Produkten verringern. Es gibt jedoch eine zusätzliche Herausforderung …

Johann Terres: … und zwar welche?

Prof. Christian Küchen: Dass für die entsprechenden Anlagen zur Produktion und zum Transport erhebliche Investitionen erforderlich sind – bei neuen Technologien sind die ersten Anlagen meist die teuersten. Damit überhaupt investiert wird, muss diesem „First-Mover-Disadvantage“ entgegengewirkt werden. Das gelingt offensichtlich mit Quoten überhaupt nicht, wie sich derzeit im Falle der Luftfahrt sehen lässt. Obwohl es eine europäische Quotenvorgaben für strombasiertes Kerosin ab 2030 gibt und völlig klar ist, dass dafür PtL-Produkte benötigt werden, gibt es derzeit weltweit keine der erforderlichen Investitionsentscheidungen für entsprechende Produktionsanlagen.

Johann Terres: Welchen Ausweg aus dem Dilemma sehen Sie?

Prof. Christian Küchen: Wir müssen uns daran erinnern, dass Windenergie und Solarkraft nicht über Quoten in den Markt eingeführt werden, sondern über eine garantierte Vergütung der produzierten Mengen über einen längeren Zeitraum, die über Ausschreibungen im Wettbewerb ermittelt wird. Etwas Vergleichbares werden wir für die neuen Technologien zur Herstellung grüner Moleküle auch machen müssen – im internationalen Maßstab. Diese Ausschreibungsmodelle müssen langfristig sicher finanziert sein. Das wird vermutlich nicht ohne zweckgebundene Umlagen möglich sein. Für die Luftfahrt wird darüber bereits diskutiert. Der Schlüssel für eine erfolgreiche Molekülwende ist die Mobilisierung von privatem Kapital in erheblicher Größenordnung. Der Staat muss zumindest bei der Abfederung von Risiken unterstützen. Ansonsten bleiben die Klimaziele unerreichbar.

Johann Terres: Herr Prof. Küchen, vielen Dank für die spannenden Hintergründen zu der von en2x angestrebten Molekülwende. Ich bin sehr gespannt auf die weiteren Ausführungen zu dem Thema in Session 4 der ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2024!

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