Dr. Annette Nietfeld: Frau Mann, wo sehen Sie die energetische Zukunft unserer Städte?
Christiane Mann: Die Wünsche, die wir an den urbanen Lebensraum haben sind so vielfältig wie widersprüchlich.
Die Stadt soll lebendig und aktiv sein und trotzdem Ruhe bieten. Wir erwarten saubere Grünflächen für unsere Erholung, aber auch kurze und schnelle Verkehrswege. Wir wollen es beschaulich, aber auch hip. Wir erwarten preiswerte Energie aus Wind und Sonne, wollen aber möglichst keine Energieerzeugungsanlagen in Sichtweite.
Wir wissen alle, dass die steigende Energienachfrage, knapper werdende fossile Rohstoffe, Klimawandel und die Forderungen nach verstärkter Energieeffizienz große Herausforderungen an das Energiesysteme und insbesondere die Stromversorgung im urbanen Raum stellen.
Für unsere Städte bedeutet das, dass nur eine Kombination aus Effizienzsteigerung in allen Abschnitten der Energiesystemkette, des Stromnetzausbaus, der intelligenten Allokation von flexiblen zentralen und dezentralen Stromerzeugungseinheiten, Energiespeicher sowie Synergien zwischen Strom-, Wärme- und Gasnetzen sich zu nachhaltigen Energiesystemen für die Zukunft gestalten lassen.
In den Stadtprojekten, die wir vorstellen, zeigen wir, woran wir (und auch andere Unternehmen) arbeiten und was schon heute möglich ist.
Dr. Annette Nietfeld: Können Sie noch einmal erläutern, was genau ein Smart Building definiert und was das für die Stadtentwicklung bedeutet?
Christiane Mann: In einem Smart Building kommen viele Daten aus den unterschiedlichen Gewerken zusammen, die zentral erfasst, miteinander verknüpft und analysiert werden. Gebäude sind für 40 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs verantwortlich. Digitalisierung des Gebäudes erlaubt uns eine genaue Auswertung von Gebäudedaten, um sie energieeffizienter, ressourcenschonender und nachhaltiger zu machen.
Gebäude haben eine besondere Rolle im Energiesystem der Zukunft. Hintergrund ist, dass aus einem statischen Energieversorgungssystem mit großen, zentralen Erzeugungsanlagen ein flexibles, intelligentes und zunehmend dezentrales System mit vielen verschiedenen Akteuren wird. „Energiewelten“ wachsen zusammen und sogenannte multimodale Energiesysteme entstehen, deren Optimierung und Balancierung immer wichtiger wird. Gerade dieser Trend hat enorme Auswirkungen auf das Gebäudemanagement der Zukunft. „‚Intelligenz‘“ in der Gebäudetechnik erlaubt es, den Energieverbrauch der Gebäude möglichst gering zu halten und gleichzeitig Umgebungsenergien wie Wind und Sonne auch in kleinem Maßstab zu nutzen, zu speichern oder in das Stromnetz einzuspeisen.
Gebäude – oder besser noch mehrere miteinander energietechnisch kooperierende Gebäude – werden somit zum „Prosumer“, sprich, sowohl zum Produzenten als auch zum Verbraucher (engl. Consumer) von Energie, und somit zu einem wichtigen Partner für die Energienetze, die sogenannten Smart Grids.
Dr. Annette Nietfeld: Smart Buildings werden also ein wichtiger Bestandteil des Smart Grid sein?
Christiane Mann: Ja, absolut. Möglich wird dies durch eine konsequente Automatisierung, Elektrifizierung und Digitalisierung der Energieversorgung. In Summe bedeutet das ein vollständiges digitales Abbild der gesamten Wertschöpfungskette und der Betriebsprozesse in der Energieversorgung. Diese Digitalisierung ermöglicht ein Optimum an Transparenz sowohl der Abläufe im Gebäude als auch der Energieströme, und erhöht die Effizienz der bestehenden Infrastruktur. Dank Digitalisierung kann mehr Strom über die gleiche Infrastruktur geleitet werden. Diese Optimierung mit den Bedürfnissen des Netzes gekoppelt werden zum Beispiel in Form von variablen Stromtarifen oder Demand Response Funktionen.
Das bringt mich zu einem weiteren Aspekt – die Einbindung und Begleitung der Kunden in den Projekten und während der gesamten Nutzungsdauer. Selbstverständlich auch Kommunen. Die neue Energiewelt wird nur funktionieren, wenn es möglich ist, für alle Beteiligten einen ökonomischen Nutzen auszuweisen, und wenn der Beitrag der Gebäude zu den Nachhaltigkeitszielen darstellbar ist. Darum bin ich der festen Überzeugung, dass all diese Herausforderungen nur mit einem verlässlichen und leistungsfähigen Technologiepartner zu meistern sind, der die gesamte Energiewandlungskette versteht, alle beteiligten Prozesse kennt, die notwendigen technischen Schnittstellen beherrscht und als Vordenker im Bereich der Digitalisierung auf Managementebene akzeptiert ist.
Dr. Annette Nietfeld: Die Energiewende stellt Deutschland vor große Herausforderungen. Deutsche Städte stehen im internationalen Vergleich gut da, und doch gibt es bezüglich Nachhaltigkeit und Energieeffizienz noch einiges zu tun. Welche Ansatzpunkte sehen Sie?
Christiane Mann: Deutschland importiert nach wie vor einen Großteil der Energierohstoffe. Achtundneunzig Prozent des Erdölbedarfs stammen aus Importen. Auch bei Erdgas und Kohle steigt der Importanteil noch immer kontinuierlich an – ungeachtet der zurzeit schwierigen Energielage. Die größte Herausforderung der Energiewende wird deshalb sein, bis 2050 den Energiemix neu zu gestalten, den Anteil erneuerbarer Energien weiter zu steigern und vor allem konsequent das gesamte Energiesparpotenzial auszuschöpfen.
Zu einem Energiesystem der Zukunft gehören: intelligente Gebäude/Prosumer, Smart Grid und insgesamt ein „smarter“ Markt. Für sämtliche Teilbereiche existieren bereits Lösungen. Wichtig ist es, diese zu Lösungen einem Gesamtsystem zusammenzuführen und fehlende Elemente zu ergänzen.
Das intelligente elektrische Netz (Smart Grid) ist das zentrale Bindeglied zwischen dezentraler, fluktuierender Energieerzeugung, -speicherung und dem Energieverbrauch. Um in diesem «Spannungsfeld» optimal zu agieren, bzw. um das Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch in jedem Fall sicherzustellen, ergeben sich neue Steuerungs- und Regelaufgaben. Gegenwärtig wird daran gearbeitet, die Auslastung der untersten Netzebenen – sprich im privaten Verbrauch – transparent zu machen. Hier sind wir vor allem den vielen Menschen dankbar die uns ihre Gewohnheiten bezüglich ihres Energieverbrauchs offenlegen und uns auch zeigen, welche Wünsche sie an eine individuelle Steuerung des Energiekonsums in ihrem Haushalt haben.
Für kommunalen Verwaltungen besteht die Herausforderung darin ihre Nachhaltigkeits- und Energiepolitik mit den Interessen der Privatwirtschaft und den Stadtbewohnern „unter einen Hut“ zu bringen, schliesslich besteht eine Stadt ja nicht nur aus öffentlichen Gebäuden und Infrastrukturen. Dies ist, aus unserer Sicht, nur möglich mit partizipativen Ansätzen. Die smart cities, die wir beispielhaft vorstellen, geben gute Anregungen für derartige Prozesse.
Dr. Annette Nietfeld: Frau Mann, ich bin gespannt auf Ihre Session am ersten Tag von ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2023 und danke Ihnen für Ihre Zeit!