Dr. Annette Nietfeld: Für die Automobilindustrie kann der Hochlauf der Elektromobilität nur gelingen, wenn die entsprechenden Rohstoffe verfügbar sind. Gleichzeitig ist klar, dass die Nachfrage weltweit steigen wird. Was plant die Automobilindustrie, um unter diesen Vorzeichen im Wettlauf um die Rohstoffe konkurrenzfähig zu bleiben?
Michael Püschner: Die Unternehmen der deutschen Automobilindustrie stehen aus voller Überzeugung zu den Klimazielen von Paris. Wir wollen klimaneutrale Mobilität schnellstmöglich realisieren. Dabei ist die Elektromobilität ein ganz wesentlicher Pfeiler der Dekarbonisierungsstrategie. Um hier die ehrgeizigen Ziele zu erreichen, werden eine kritische Menge an Batterierohstoffen, aber auch seltene Erden benötigt. Deshalb sichern die Unternehmen den Zugang zu Vorprodukten, aber auch zu Rohstoffen ab, u.a. mit langfristigen Lieferverträgen. Auch Hedging kann das Preisrisiko minimieren. Grundsätzlich ist es wichtig, dass wir uns nicht in neue Abhängigkeiten begeben, wir müssen die gesamte Lieferkette diversifizieren. Das heißt: Unsere Unternehmen schauen weltweit nach neuen Möglichkeiten, um sich den Zugang zu Rohstoffen zu sichern. Dabei werden aktuell die Möglichkeiten der Rohstoffsicherung breit diskutiert. In einigen Unternehmen wird die vertikale Integration in Betracht gezogen. Darüber hinaus ist die gelebte Kreislaufwirtschaft ein wichtiger Erfolgsfaktor. Mit großen Investments in Forschung und Entwicklung versucht die Automobilindustrie, die kritischen Rohstoffe zu substituieren und so die Nachfrage zu reduzieren.
Dr. Annette Nietfeld: Seitens der Politik wurde die Notwendigkeit einer aktiven Rohstoffpolitik lange ignoriert. Welche Erwartungen hat Ihre Branche nun an die Politik?
Michael Püschner: Eine sichere, nachhaltige und verantwortungsvolle Rohstoffversorgung ist für den Industriestandort Deutschland von besonderer Bedeutung. Das industriepolitische Ziel der Bundesregierung muss es deshalb sein, die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu stärken. Auch dürfen wir die aktuellen geo- und handelspolitischen Veränderungen nicht unbeachtet lassen: In anderen Regionen der Welt wird die Beschaffung von Rohstoffen massiv mit staatlichen Geldern gefördert. Um Deutschland und Europa neue Optionen auf den globalen Rohstoffmarkt zu verschaffen, braucht es deshalb jetzt groß angelegte Impulse seitens der Politik in Brüssel und Berlin.
Das heißt: Engagierte Rohstoffpolitik muss eine höhere Bedeutung als bis dato beigemessen werden. Insbesondere gehören die strategisch kritischen Rohstoffe in den Fokus, v.a. die Batterierohstoffe und die seltenen Erden. Die politischen Impulse müssen v.a. deren Angebot stärken. Dazu gehören eine Verkürzung der Genehmigungsverfahren von Rohstoffprojekten – sowohl im Bergbau als auch in der Rohstoffverarbeitung – sowie auch die Identifizierung und Förderung von strategischen Rohstoffprojekten.
Dr. Annette Nietfeld: Könnte eine Agentur für strategische Rohstoffe in dieser Situation Abhilfe schaffen?
Michael Püschner: Ja, auf jeden Fall. Um die genannten Handlungsfelder strategisch umzusetzen, braucht es eine europäische Agentur für strategische Rohstoffprojekte. Diese Agentur könnte – wie zum Beispiel die JOGMEC in Japan – in strategische Rohstoffprojekte investieren und so das Angebot strategischer Rohstoffe stärken. Eine staatliche Lagerhaltung von nicht-energetischen Rohstoffen lehnen wir dagegen strikt ab, da die zentrale Bevorratung zusätzlichen Druck auf das ohnehin knappe Angebot bedeuten würde. Das wäre völlig kontraproduktiv.
Dr. Annette Nietfeld: Wäre es ferner hilfreich, wenn die Politik Risikokapital für strategische Rohstoffprojekte bereitstellen würde?
Michael Püschner: Absolut. Im European Critical Raw Materials Act werden Rohstofffonds angekündigt. Ebenso im Eckpunktepapier des BMWK. Gerade zu Beginn von Rohstoffprojekten sind hohe Investments nötig, um mit Prefeasibility-Studien, also Machbarkeitsstudien, das Potenzial eines Rohstoffprojekts überhaupt zu erkennen. Um das Angebot von strategischen Rohstoffen zu fördern, braucht es also Risikokapital. Dieses Kapital muss intelligent investiert werden. Dabei käme der oben genannten europäischen Agentur für strategische Rohstoffprojekte eine zentrale Rolle zu.
Dr. Annette Nietfeld: Bräuchten wir schnell weitere Handelsabkommen mit anderen Ländern und wenn ja, wie realistisch ist deren Abschluss, wenn Sie sich z.B. vor Augen führen, wie lange es gedauert hat, bis Ceta unter Dach und Fach war.
Michael Püschner: In der Tat sind Rohstoffpartnerschaften und Handelsabkommen mit einem Fokus auf Rohstoffe bei der Diversifikation sehr hilfreich. Das erkennt man leicht, wenn man auf die drei Säulen blickt, auf denen die europäische Rohstoffbeschaffung fußt, nämlich den Bezug von Rohstoffen aus dem Ausland, der heimischen Rohstoffbeschaffung und der Kreislaufwirtschaft. Dabei wird klar: Das europäische Potenzial, sich selbst mit Rohstoffen aus eigenen Rohstoffprojekten und der Kreislaufwirtschaft zu versorgen, ist nicht ausreichend, um unsere ambitionierten Ziele zu erreichen. Und das sowohl, was den Ausbau der erneuerbaren Energien anbelangt als auch, was die Dekarbonisierung des Verkehrssektors betrifft. Wir sind also weiterhin auf den Import von Rohstoffen angewiesen. Dabei sehen wir, dass eine Diversifikation der Lieferkette der einzige Weg ist, sich nicht in neue Abhängigkeiten – wie wir sie beim Öl und Gas gesehen haben – zu begeben. Und für diese Diversifikation brauchen wir dringend Rohstoffpartnerschaften und Handelsabkommen mit einem Fokus auf Rohstoffe. Weitere wichtige Punkte sind die internationale Anerkennung der verschiedenen ESG-Standards und der Verzicht auf nationale Alleingänge.
Dr. Annette Nietfeld: Herr Püschner, Sie werden am zweiten Konferenztag in einem Vortrag aufgreifen, wie sich die Abhängigkeiten von Rohstoffen auf die Automobilindustrie auswirken. Darauf bin ich sehr gespannt. Danke für Ihre Zeit.