Interview mit…..

….Dr. Lars Rößing, Leiter Strategie, Energiepolitik und Unternehmensentwicklung; Amprion GmbH

 

Dr. Annette Nietfeld: Der Begriff Blackout wurde in den vergangenen Monaten – ausgehend von der medialen Berichterstattung – fast inflationär verwendet. War denn die Systemstabilität in den zurückliegenden ersten Wintermonaten gefährdet? Gab es kritische Momente?

Dr. Lars Rößing: Wir haben es in diesem Winter in der Tat mit einer angespannten Lage zu tun. Aber sie ist aktuell beherrschbar – nicht zuletzt aufgrund der Umsetzung der Empfehlungen aus dem Stresstest und der überwiegend milden Temperaturen. Das zeigt aber auch: Es gibt keine Monokausalität im Stromsystem.

Als Übertragungsnetzbetreiber haben wir einen umfassenden Werkzeugkasten, um Herausforderungen im Netz zu meistern. Dazu zählen Vorschau- und Rechenwerkzeuge, wie präzise Wetterprognosen, sowie die Instrumente mit Echtzeitwirkung, der Einsatz von Reservekraftwerken, Börsengeschäften sowie Aushilfen der europäischen Nachbarn. Wir betrachten zu jedem Zeitpunkt alle relevanten Faktoren.

Dr. Annette Nietfeld: Wie sieht Ihre Prognose für die restlichen Wintermonate aus?

Dr. Lars Rößing: Auch wenn wir bislang gut durch den Winter gekommen sind, er ist noch nicht vorbei. Sowohl für uns als auch für unsere europäischen Partner ist und bleibt die Lage herausfordernd. Deswegen müssen alle Anstrengungen aufrechterhalten bleiben. Zusätzlich sollten wir die Erfahrungen aus diesem Winter nutzen und stets das ganze System betrachten. Für die Systemstabilität und -sicherheit während des fundamentalen Umbaus des Energiesystems müssen wir ohnehin entsprechende Instrumente schaffen.

Dr. Annette Nietfeld: Können Sie schon eine erste Einschätzung zur Wirkung der Regelungen im Osterpaket abgeben? Immerhin sind diese nun schon ein dreiviertel Jahr in Kraft.

Dr. Lars Rößing: Es ist schön zu sehen, dass das Thema der Beschleunigung von Infrastrukturausbau bei dieser Bundesregierung einen so hohen Stellenwert hat. Allerdings müssen wir festhalten, dass die in 2022 verabschiedeten Gesetze nur einen ersten Schritt darstellen können. Wir haben einzelne Projekte, bei denen sich die Maßnahmen bereits auswirken: So sparen wir beim Projekt Ultranet z.B. ein ganzes Jahr ein. Das Gros des laufenden Projektportfolios profitiert aber von den bisherigen Änderungen kaum und benötigt dringend Anpassungen z.B. beim Natur- und Artenschutz, wie sie etwa bei den erneuerbaren Energien vorgenommen worden sind.

Dr. Annette Nietfeld: Welche Anforderungen stellen Sie an den nächsten Netzentwicklungsplan?

Dr. Lars Rößing: Der im März erscheinende erste Entwurf des Netzentwicklungsplans greift die Idee des Klimaneutralitätsnetzes aus dem Koalitionsvertrag auf und zeigt erstmalig, wie ein klimaneutrales Energiesystem 2045 in Deutschland funktionieren kann und welche Infrastruktur dafür benötigt wird. Natürlich sind diese Ergebnisse immer abhängig von den Prämissen. Aber für die sehr ambitionierten Ziele der Bundesregierung mit fast 450GW Photovoltaik, über 220GW Wind an Land und auf See sowie bis zu 80GW Elektrolyse zeigt sich ein signifikanter zusätzlicher Netzausbaubedarf, der sich aber volkswirtschaftlich schnell amortisiert.

Dr. Annette Nietfeld: Welches sind die nächsten dringenden Projektvorhaben von Amprion?

Dr. Lars Rößing: Ein zentraler Baustein der Energiewende ist die neue Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) Korridor B. Er besteht aus den beiden Leitungsbauvorhaben Heide/West – Polsum und Wilhelmshaven – Hamm des Bundesbedarfsplangesetzes (BBPlG) und überträgt ab voraussichtlich Anfang der 2030er Jahre Windstrom aus Schleswig-Holstein und dem Norden Niedersachsens nach Nordrhein-Westfalen. Das Vorhaben ist ein Stützpfeiler für den Kohleausstieg in NRW in 2030. Hier planen wir übrigens zusätzliche Leerrohre mit ein: Dies ermöglicht es zukünftig, die Transportkapazität von Strom aus der Küstenregion in die Verbrauchszentren im Westen und Süden Deutschlands mit geringerem Aufwand weiter zu steigern. In die Leerrohrsysteme lassen sich bei Bedarf weitere Gleichstrom-Erdkabel einziehen, mit denen sich die Kapazität von Korridor B von derzeit geplanten 4 Gigawatt (GW) auf bis zu 8 GW ausbauen lässt.

Zudem beschleunigen wir unsere Offshore-Netzanbindungsprojekte, um den ambitionierteren Ausbauzielen der Bundesregierung Rechnung zu tragen: So sollen laut Windenergie-auf-See-Gesetz im Jahr 2030 bereits 30 Gigawatt an Offshore-Windenergie installiert sein, was einer Erhöhung um 10 Gigawatt entspricht. Daher soll unser Offshore-Netzanbindungssystem BalWin1 nach den neuen Plänen des Bundes bereits 2029 anstatt 2031 in Betrieb genommen werden, BalWin2 bereits 2030 anstatt 2033. Wir haben kürzlich den weltweit ersten Auftrag über 2-Gigawatt-Offshore-Netzanbindungsysteme vergeben, damit diese Projekte zwei bzw. drei Jahre früher in Betrieb gehen können.

Dr. Annette Nietfeld: Ich bin gespannt auf die Session und die Einschätzung der einzelnen Gesprächspartner. Danke für Ihre Zeit!

 

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