4 Fragen an…

Dr. Rainer Pflaum, Mitglied der Geschäftsführung, TransnetBW

Dr. Annette Nietfeld: Im Stromsystem spielen immer mehr neue Akteure eine Rolle. Was bedeutet das für das Stromnetz und wie kann es auch zukünftig stabil bleiben?

 

Dr. Rainer Pflaum: Richtig, die Anzahl der Akteure steigt. Und das sowohl auf der Erzeugungs- als auch auf der Verbrauchsseite. Das erhöht die Komplexität, das Stromsystem zu managen. Als Übertragungsnetzbetreiberin sind wir im Stromsystem unter anderem für die Systemsicherheit verantwortlich. Für uns sind dafür zukünftig drei Bausteine wichtig:

Erstens: schnellerer Zubau von erneuerbaren Energien und gleichzeitiger Ausbau und Verstärkung der Stromnetze. Dafür brauchen wir schlanke Genehmigungsverfahren und die Unterstützung und Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, die notwendigen Maßnahmen gemeinsam umzusetzen.

Zweitens: Investitionen in klimafreundliche Kraftwerke, die zur Netzstabilisierung zur Verfügung stehen. Das sind für mich zum Beispiel wasserstofffähige Gaskraftwerke. Die Bundesnetzagentur nennt einen Bedarf von 17 bis 21 Gigawatt, um den Kohleausstieg zu flankieren. Und diese sollen noch vor 2030 entstehen. Das sind enorme Zahlen. Das Problem ist: Wir sehen diese Investitionen in solche Kraftwerke noch gar nicht, obwohl der Zeitdruck hoch ist. Darum können wir nicht auf umfassende Marktdesign-Reformen warten. Dafür reicht die Zeit nicht. Deshalb bringen wir als Anreizkonzept den Neubau-Vorschuss ein, das kurzfristig dort Kapazitäten schaffen soll, wo sie für den sicheren Netzbetrieb notwendig sind

Drittens: Verbraucher einbeziehen. Ja, neue Verbraucher wie E-Autos, Wärmepumpen und Heimspeicher erzeugen zwar eine zusätzliche Last. Aber sie bieten gleichzeitig großes Potenzial für die Stromnetzstabilisierung: Elektrofahrzeuge können beispielsweise zeitgesteuert geladen werden oder gar Strom ins Netz rückspeisen. Bei Wärmepumpen ermöglichen Warmwasserspeicher und Wärmespeicherfähigkeit der Gebäudehülle eine gewisse Flexibilität bei ihrem Strombezug, und auch PV-Heimspeicher können ihre Ladevorgänge in gewissen Grenzen anpassen. Kurz gesagt: Dieses Flexibilitätspotenzial muss nicht teuer zugebaut werden, sondern ist schon da und kann auch systemdienlich genutzt werden – wenn wir jetzt die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen.

 

Dr. Annette Nietfeld: Über genau diese Flexibilität möchte ich mit Ihnen sprechen. Welches Potenzial sehen Sie als Übertragungsnetzbetreiber darin für die Stromnetzstabilisierung?

 

Dr. Rainer Pflaum: Mit dem Hochlauf der E-Mobilität, der Wärmepumpen und Heimspeicher gewinnt das Thema zunehmend an Relevanz. Die Bundesnetzagentur rechnet mit 18 Gigawatt Flexibilität durch Wärmepumpen, drei Gigawatt durch solare Heimspeicher und mit knapp 14 Gigawatt durch E-Mobilität bis zum Jahr 2031.

Um es plakativ zu machen: E-Autos haben lange Standzeiten, in denen sie nicht benötigt werden. Oft ist es dem Nutzer daher egal, ob der Ladevorgang um 21 oder um drei Uhr nachts erfolgt. Die Hauptsache ist, dass das Auto morgens für den Arbeitsweg geladen ist. Das bietet große Flexibilität. Denn das Laden könnte dann in der Zeit erfolgen, wenn es das Stromnetz stabilisieren kann. Wir nennen das „Verschiebepotenzial“. Das kann dazu führen, dass wir teure Kraftwerke seltener hochfahren müssen, wenn sich ein Engpass im Netz abzeichnet. Und dadurch entsteht ein ökonomischer Nutzen, den wir bereits 2021 für uns untersucht haben. Dieser liegt allein für Baden-Württemberg in den Jahren von 2022 bis 2028 bei mehreren hundert Millionen Euro.

Dr. Annette Nietfeld: Was muss getan werden, damit Verbraucher wie E-Autos, Wärmepumpen und Heimspeicher einen Beitrag leisten können?

 

Dr. Rainer Pflaum: Momentan weisen wir bei drohenden Netzengpässen Erzeugungsanlagen an, hoch- oder herunterzufahren. Die Betreiber werden dann kostenbasiert entschädigt. Dieser Weg mit verpflichtender Teilnahme hat sich für Erzeugungsanlagen wie beispielsweise konventionelle Kraftwerke oder erneuerbare Energien bewährt. Bei den oben genannten flexiblen Verbrauchern braucht es allerdings eine andere Lösung, die auf Freiwilligkeit beruht.

Unsere Vision ist, dass Verbraucher ihre Flexibilität im Strombezug für das Engpassmanagement über einen Marktmechanismus anbieten und die Übertragungs- wie Verteilnetzbetreiber daraus das kosteneffizienteste und wirksamste Angebot ermitteln – sei es aus dem Flexibilitäts-Pool oder aber dem Anlagen-Pool. Das ist das hybride Modell, das wir gemeinsam mit TenneT TSO und E-Bridge vorschlagen.

Dr. Annette Nietfeld: Und welche Erfahrungen sind heute schon da? Und was wünschen Sie sich für die Zukunft?

 

Dr. Rainer Pflaum: Mir ist wichtig zu betonen: TransnetBW forscht und demonstriert schon heute, wie dezentrale Flexibilität genutzt werden kann. Sei es zum Beispiel im Projekt „PV-Shift“ mit Tesla im Kontext von PV-Heimspeichern, beim Projekt „Bidirektionales Lademanagement“ mit BMW, oder gemeinsam mit dem Fraunhofer IEE und Jedlix beim Projekt „EV Fleet“. Daneben haben wir mit DA/RE eine Plattform aufgebaut, über die ein Informationsaustausch über verschiedene Netzebenen ablaufen kann und beteiligen uns am europäischen Unternehmen equigy zur Entwicklung standardisierter Schnittstellen für Flexibilität. Diese Erfahrungen gilt es zusammenzuführen und Lücken zu schließen.

Damit dies gelingt, brauchen wir Experimentierräume: Wir freuen uns, auch weiterhin mit Verteilnetzbetreibern und Aggregatoren die noch zu lösenden Aspekte in Projekten und groß angelegten Feldtests weiterzuentwickeln und gemeinsam zu lernen. Dafür brauchen wir die Unterstützung der Politik und auch Kostenanerkennung für die Projekte.

Dr. Annette Nietfeld: Danke für Ihre Zeit!

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Interview mit Dr. Rainer Pflaum, Mitglied der Geschäftsführung, TransnetBW
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