Interview mit Dr. Thomas Gößmann (Thyssengas)
Die Ampel für Wasserstoff auf Grün stellen
Interview mit Dr. Thomas Gößmann, Vorsitzender der Geschäftsführung Thyssengas, im Vorfeld der Tagung „ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2022 das Forum der Energiewende“
Dr. Annette Nietfeld: Herr Dr. Gößmann, Wasserstoff soll laut Koalitionsvertrag der neuen Ampelregierung eine zentrale Rolle bei der künftigen Energieversorgung spielen. Wie bewerten Sie diesen Schritt?
Dr. Thomas Gößmann: Der Wille zu einem energiepolitischen Aufbruch ist unverkennbar. Die Ampel will auch mit Blick auf die künftige Energieversorgung „Fortschritt wagen“ und die Dekarbonisierung vorantreiben. In meiner Rolle als Geschäftsführer von Thyssengas und Vorstandsvorsitzender des Branchenverbands FNB Gas e.V. begrüße ich diese ambitionierte Zielsetzung ausdrücklich, insbesondere das starke Bekenntnis zum Wasserstoff. Jetzt geht es darum, die Ampel für Wasserstoff auf Grün zu stellen.
Dr. Annette Nietfeld: Was ist aus Ihrer Sicht entscheidend, dass diese Ambition in die Tat umgesetzt wird?
Dr. Thomas Gößmann: Entscheidend sind Geschwindigkeit und volkswirtschaftliche Effizienz. Dafür sollten wir auf dem aufbauen, was bereits vorhanden ist: 40.000 Kilometer Fernleitungsnetz sowie dem jahrzehntelangen Know-how der Branche bei Bau und Betrieb von unterirdisch verlegten Gasleitungen. Der Wasserstoff-Markthochlauf wird aber nur gelingen, wenn Strom und Gas intelligent zusammenspielen und wir die großen Verbrauchs-Sektoren Wärme, Mobilität, Stromerzeugung und Industrie als Gesamtsystem begreifen und miteinander koppeln. Dieser Prozess erfolgt sukzessive in mehreren Schritten. Mit den Wasserstoffnetzkarten 2030 und 2050 haben die Fernleitungsnetzbetreiber hierzu jüngst eine konkrete Roadmap vorgelegt.
Dr. Annette Nietfeld: Man hat den Eindruck, dass sich viele Projekte noch im theoretischen Stadium befinden und viele Marktteilnehmer derzeit noch abwarten.
Dr. Thomas Gößmann: Das trifft nicht auf die Fernleitungsnetzbetreiber zu. Wir sind in den vergangenen Jahren in Vorleistung gegangen. Einerseits wurde untersucht, inwiefern Leitungen, die heute Erdgas transportieren, auf Wasserstoff umgestellt werden können, also H2-ready sind. Andererseits wurden zahlreiche Projekte und Kooperationen mit der Industrie angeschoben, um zeitnah regionale Wasserstoff-Cluster zu entwickeln und das Zusammenspiel von Erzeugung, Transport und Verbrauchern regional zu erproben. Ein konkretes Beispiel ist die Initiative „Get H2“, an der Thyssengas beteiligt ist und in einem Konsortium eine grenzüberschreitende Infrastruktur für Wasserstoff aufbauen will – angefangen bei der Erzeugung von grünem Wasserstoff über den Transport bis hin zur industriellen Nutzung.
Dr. Annette Nietfeld: Wasserstoff ist also nicht nur ein Hype-Thema?
Dr. Thomas Gößmann: Der Wasserstoff-Transportbedarf ist real. Aus den Meldungen zur Marktabfrage „Wasserstoff Erzeugung und Bedarf (WEB)“ des FNB Gas geht der konkrete Kapazitätsbedarf für den Transport von Wasserstoff bis zum Jahr 2032 im Markt hervor. Bis Anfang Oktober haben die deutschen Fernleitungsnetzbetreiber Absichtserklärungen (MoU) mit Vorhabenträgern von mehr als 250 Projekten vereinbart. Der Wasserstoff-Bedarf dieser Projekte beläuft sich auf insgesamt rund 164 Terawattstunden. Ein beachtliches Ergebnis, wie ich finde.
Dr. Annette Nietfeld: Sie sprachen das Thema Kosteneffizienz an, mit welchen Summen müssen wir rechnen?
Dr. Thomas Gößmann: Die Kostenabschätzung für die Wasserstoffinfrastruktur zeigt, dass sich ein leistungsfähiges Wasserstofftransportnetz auf Basis bestehender Gasleitungen vergleichsweise kostengünstig realisieren lässt. Die Investitionskosten belaufen sich bis zum Jahr 2030 auf rund sechs Milliarden Euro, bis zum Jahr 2050 auf etwa achtzehn Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der Bau einer einzigen Hochspannungsleitung für Ökostrom ist in etwa doppelt so teuer wie das H2-Netz für 2030.
Dr. Annette Nietfeld: Worauf kommt es jetzt an, um auf Grundlage des bestehenden Fernleitungsnetzes künftige Wasserstofferzeuger und Verbraucher zu verbinden?
Dr. Thomas Gößmann: Man kann es nicht oft genug betonen: Wir müssen jetzt Geschwindigkeit aufnehmen. Der Schlüssel dafür liegt – wie so oft – in einer verlässlichen Rahmensetzung für die beteiligten Akteure. Da sich das Wasserstoffnetz aus dem bestehenden Gasnetz entwickeln wird, wäre es nur konsequent und sachdienlich, eine gemeinsame Regulierung und Finanzierung der Gas- und Wasserstoffinfrastruktur einzuführen. Diese Entscheidung wäre das dringend benötigte Signal, dass die Gasnetzbetreiber mit dem Aufbau eines Wasserstoff-Netzes in Deutschland beauftragt sind. Ein Signal, das neben der dringend benötigten Geschwindigkeit auch Investitionssicherheit schafft – denn ohne private Investitionen rückt ein erfolgreicher Markthochlauf in weite Ferne. Dafür gilt es jetzt die Weichen zu stellen – national wie auch auf EU-Ebene.
Zu all diesen Fragestellungen bietet ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2022 ein Forum mit herausragenden Experten. Ich hoffe, dass die Konferenz wichtige Impulse geben kann, um dieses zentrale Ziel der Energietransformation in Deutschland und Europa voranzutreiben.