Interview mit Dr. Harald Schwager (Evonik Industries AG)
Interview mit Dr. Harald Schwager, Stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes, Evonik Industries AG, Mitglied des Vorstandes, Forum für Zukunftsenergien e.V., im Vorfeld der Tagung „ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2022 das Forum der Energiewende“
Internationale Klimaschutzpolitik
Dr. Annette Nietfeld: Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung auf dem Gebiet der internationalen Klimaschutzpolitik?
Dr. Harald Schwager: Die neue Bundesregierung hat sich dem Fortschritt verschrieben – und das begrüße ich sehr. Fortschrittlich ist es allemal, viel zu tun, um den Klimawandel wirksam zu bekämpfen. Aber wir brauchen nicht nur Verbote, sondern neue Innovationen und Technologien müssen ermöglicht werden. Die Chemieindustrie ist der Ermöglicher dabei, denn ohne uns dreht sich kein Windrad, gibt es keinen Leichtbau oder moderne Batterien. International muss Deutschland als gutes Beispiel vorangehen und auch in der Klimadiplomatie weiter vorankommen.
Eine wichtige erste Etappe ist dabei die deutsche G7-Präsidentschaft. Der von der Bundesregierung ins Spiel gebrachte Klimaclub, der vergleichbare CO2-Preissysteme auf den Weg bringen soll, ist eine gute Idee. Klimaschutz international voranzubringen muss jedoch einhergehen mit Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit.
Aktuell geht es jetzt um die Ausgestaltung des europäischen „Green Deal“ und die Sicherung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit. Hier muss sich die Bundesregierung aktiver einbringen.
Dr. Annette Nietfeld: Klimaclub oder Grenzausgleichsmechanismus, was bevorzugen Sie?
Dr. Harald Schwager: Es ist immer besser, anzureizen als zu strafen. Neue Zölle sind kontraproduktiv. Ein Klimaclub, der internationale Kooperationen stärkt und große Märkte verbindet, wie z.B. die USA mit Europa, wäre ein Erfolg für das Klima und könnte die Wirtschaft stärken. Damit würde man europäische Alleingänge und letztlich Carbon Leakage vermeiden. Der derzeit auf europäischer Ebene diskutierte Grenzausgleichsmechanismus birgt auf jeden Fall Risiken und bürokratische Hürden, statt Schutz für die chemische Industrie vor ungleichem Wettbewerb aufgrund unterschiedlicher Klimaschutzambitionen. Klar ist doch: Wenn Europa neue Zölle einführt, ziehen andere Volkswirtschaften sofort nach. Folgen sind Handelsstreitigkeiten und Konflikte im Rahmen der Welthandelsorganisation.
Dr. Annette Nietfeld: Wie stellt sich Evonik als Unternehmen auf die Transformation ein?
Dr. Harald Schwager: Evonik ist eines der weltweit führenden Unternehmen für Spezialchemie. Bildlich gesagt: Chemie ist der wichtigste Wirkstoff für die Transformation. Dank unserer Expertise und Produktlösungen halten Windräder ein Leben lang, sind Bauwerke aus Beton nahezu unzerstörbar und fahren elektrisch betriebene Autos mit modernen Batterien und in Leichtbauweise.
Nachhaltigkeit ist nicht „grün“ allein, sondern besteht aus drei Dimensionen: ökonomisch, ökologisch und sozial. Nachhaltigkeit ist der Wachstumstreiber in unseren Märkten. Wir nutzen ein umfangreiches Instrumentarium, um unser Portfolio auf Nachhaltigkeit hin abzuklopfen. Wir machen unsere Fortschritte mess- und belegbar.
Bereits 35 Prozent des Umsatzes erwirtschaften wir mit unseren Next-Generation Produkten, die – im Vergleich mit dem Wettbewerb – einen überlegenen Nachhaltigkeitsnutzen beim Kunden aufweisen. Derzeit liegt der Umsatzanteil der Produkte und Lösungen, die eine Nachhaltigkeitsbilanz auf Marktniveau haben, bei 90 Prozent. Den Anteil der Next-Generation Produkte werden wir in den nächsten Jahren massiv steigern. Wir sind also schon mitten auf dem Weg der Transformation.
Um diesen Weg erfolgreich weiter zu gehen, brauchen wir verlässliche und unterstützende Rahmenbedingungen auf nationaler und europäischer Ebene, die die Bundesregierung aktiv gestalten muss. Mit der Roadmap 2050 des VCI und den BDI-Studien hat die Industrie die möglichen Wege, Herausforderungen und Notwendigkeiten aufgezeigt, die zu berücksichtigen sind. Der notwendige Ausbau der Erneuerbaren Energien, damit die erforderlichen Strommengen kostengünstig für den Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft, bzw. Elektrifizierung von Prozessen erfolgen kann, ist eine der zentralen Bausteine.
Dr. Annette Nietfeld: Im Rahmen des „Green Deal“ der EU wurde das „Fit for 55-Paket“ vorgelegt, um bis 2030 die absoluten CO2-Emissionen um 55 Prozent ggü. 1990 zu senken. Welche Punkte sind besonders schwierig für die Chemiebranche?
Dr. Harald Schwager: Unter anderem soll das EU-Emissionshandelssystem ambitionierter ausgestaltet und ausgeweitet werden. Wir fürchten, dass diese massiven Eingriffe zu früh greifen und damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit gefährden. Insbesondere die vorgesehene Reduktion der kostenlosen Zertifikatszuteilungen sehen wir kritisch. In diesem Zusammenhang werden für Produktionsprozesse und die Energieversorgung Technologien vorausgesetzt, die es entweder noch gar nicht zur Marktreife gebracht haben oder deren Betriebskosten, aufgrund der hohen Energiepreise gegenüber Ländern wie den USA, mittelfristig nicht wettbewerbsfähig sind. So werden z.B. unsere neuen hocheffizienten gasbasierten KWK-Anlagen, die als bestverfügbare Technik die Kunden im Chemiepark Marl mit Strom und Wärme versorgen und alte Kohlekraftwerke ersetzen, deutlich weniger kostenlose Zertifikate erhalten. Es wird unterstellt, dass Biomasse oder Wasserstoff eingesetzt werden könnten, ohne dass tatsächliche Verfügbarkeiten und konkurrenzfähige Brennstoffpreise betrachtet werden. Es gibt derzeit weder die notwendige Infrastruktur für den Transport noch die entsprechenden Erzeugungskapazitäten für emissionsarm hergestellten Wasserstoff, noch gibt es die KWK-Technologie, die Wasserstoff zu einem nennenswerten Anteil verbrennen kann. Erdgas wird im System, das überwiegend auf Erneuerbaren Energien beruhen soll, insbesondere durch den Ausstieg aus der Kohlverstromung und Kernkraft zur Versorgungssicherheit einen wesentlichen Beitrag leisten.
Dr. Annette Nietfeld: Wie sehen Sie die Entwicklungen anderer CO2-Bepreisungssysteme?
Dr. Harald Schwager: Auch wenn in anderen Regionen der Welt derzeit CO2-Bepreisungssysteme entstehen, sind sie mit dem Ambitionsniveau des europäischen Emissionshandels nicht zu vergleichen. Nehmen wir das regionale System von Shanghai. Dort produzieren viele Chemieunternehmen für den Export. Die kostenlose Zuteilung gleicht nahezu den Bedarf aus und das Preisniveau verharrt derzeit auf einem Niveau, das etwa 5 % des EU-Niveaus entspricht.
Wenn Europa der Champion in Sachen Klimaschutz bleiben will, braucht die Industrie ausreichende Mittel, um zu investieren und darf nicht über Gebühr belastet werden. Ein europäischer Industriestrompreis sowie Konzepte wie die Carbon Contracts for Differences zum Nachteilsausgleich für frühzeitige Investitionen müssen hingegen schnell auf den Weg gebracht werden.