Interview mit Dr. Hans-Jürgen Brick
Interview mit Dr. Hans-Jürgen Brick, Vorsitzender der Geschäftsführung, Amprion GmbH und Vorstandsvorsitzender, Forum für Zukunftsenergien e.V.
Dr. Annette Nietfeld: Herr Dr. Brick, Sie werden anlässlich der Konferenz ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2022 das Eröffnungsplenum moderieren. Welche namhaften Persönlichkeiten der Wirtschaft haben bereits zugesagt?
Dr. Hans-Jürgen Brick: Zugesagt haben unter anderem mein Vorstandskollege im Vorstand des Forum für Zukunftsenergien, Dr. Harald Schwager, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der EVONIK AG, der Präsident des BDI, Prof. Dr. Siegfried Russwurm, der Hauptgeschäftsführer des VKU, Ingbert Liebing, und mein Kollege, der Chef der 50Hertz Transmission GmbH, Stefan Kapferer.
Dr. Annette Nietfeld: Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung steht geschrieben, dass der Anteil der Erneuerbaren Energien am Stromverbrauch bis 2030 80% betragen soll. Bislang galt das Ziel, bis 2030 einen Anteil von 65 % zu erreichen. Schon dieses bisherige Ziel wurde als sehr ambitioniert gewertet; insbesondere mit Blick auf die Erfordernisse, die das für die Netzbetreiber mit sich brachte. Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund das 80%-Ziel?
Dr. Hans-Jürgen Brick: Wichtig ist vor allem, dass wir weiterhin eine sichere und stabile Stromversorgunggewährleisten. Das ist die Aufgabe der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber und sie gilt unabhängig vom Anteil der Erneuerbaren Energien. Das 80%-Ziel erhöht den Druck, unser Energiesystem in einer hohen Geschwindigkeit umzubauen – ohne dass das hohe Niveau der Versorgungssicherheit darunter leidet. Die alte konventionelle Erzeugung fällt zunehmend weg, sodass wir schon in den nächsten Jahren neue Kraftwerke sowie Flexibilität brauchen, um ausreichend gesicherte Leistung zu haben. Ebenso wichtig ist es aber, auch solche zentralen netz- und systemstützenden Aufgaben künftig abzudecken, die heute von den konventionellen Kraftwerken übernommen werden. Hier kommt es sowohl auf die Integration neuer Technologien an als auch auf den Bau neuer Anlagen wie z.B. Gaskraftwerke, die H2-ready sind. Dabei wird es immer wichtiger, wo diese neuen Kraftwerke, Speicher und Elektrolyseure regional verortet sind, damit sie mit ihren sogenannten Systemdienstleistungen zur Stabilität des Netzes beitragen. Wir müssen Anreize für Anlagen setzen, die die richtigen Leistungen an den richtigen Stellen im Netz erbringen.
Dr. Annette Nietfeld: Im Koalitionsvertrag ist die Rede davon, dass die Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden sollen. An welchen Stellen sehen Sie das Potenzial dafür?
Dr. Hans-Jürgen Brick: Wenn wir die hoch gesteckten Ziele der Bundesregierung erreichen wollen, dürfen Planungs- und Genehmigungsprozesse nicht länger als drei Jahre dauern. Mit der Erdkabelverbindung ALEGrO haben wir gezeigt, dass es möglich ist, eine grenzüberschreitende Gleichstromverbindung in vier Jahren genehmigen zu lassen und sogar fertigzustellen. Schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren können zum Standard werden, indem wir beispielsweise umwelt- und naturschutzrechtliche Erleichterungen für klimaschutzdienliche Projekte etablieren. Es wäre wichtig, insbesondere die Regelungen des Artenschutzes flexibler auszugestalten. Auch eine Verpflichtung zur Mitverlegung von Leerrohren bei den neuen HGÜ-Kabelprojekten kann den Netzausbau beschleunigen. Das Prinzip der Bündelung sollte gesetzlich normiert werden. Das heißt: Für Freileitungsvorhaben, die in oder unmittelbar neben bestehenden Trassen umgesetzt werden können, sollte die Nutzung dieser Räume verpflichtend sein. Es gibt also eine Reihe von Ansatzpunkten
Dr. Annette Nietfeld: Die Bestätigung des Netzentwicklungsplans Strom 2035 (2021) durch die BNetzA ist Mitte Januar erfolgt. Sind damit nun die Weichen für das 80%-Ziel gestellt? Oder ist der Plan aufgrund des angehobenen Ausbauziels schon wieder obsolet?
Dr. Hans-Jürgen Brick: Hier erleben wir zurzeit eine sehr hohe Dynamik. Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung geht weit über die Ziele hinaus, auf deren Basis der Netzentwicklungsplan Strom 2035 (2021) entwickelt wurde. Die Ausbaupfade des Koalitionsvertrages haben wir bereits im Entwurf des Szenariorahmens für den nächsten Netzentwicklungsplan aufgenommen. Darin blicken wir zudem erstmalig auf das klimaneutrale Jahr 2045. Die Weichen sind also gestellt, gleichwohl müssen wir uns auf eine Weiterentwicklung der Planungen einstellen.
Dr. Annette Nietfeld: Die Regierung plant unter anderem die Einrichtung einer Plattform „Klimaneutrales Stromsystem“ zur Entwicklung eines neuen Strommarktdesigns. Ein neues Strommarktdesign haben Sie bereits im Rahmen von „ENERGIE.CROSS.MEDIAL“ 2021 gefordert. Es hat aber keines gegeben. Was meinen Sie, woran liegt das? Ist das womöglich eine unlösbare Aufgabe?
Dr. Hans-Jürgen Brick: Die Aufgabe ist komplex, aber lösbar. Der Begriff Strommarktdesign ist letztlich auch nur ein Sammelbegriff für die Regeln, die im Strommarkt für die Marktteilnehmer gelten. Hier sehen wir klare Defizite. Insbesondere bleiben Investitionen in dringend benötigte, steuerbare Stromerzeugungsanlagen aus. Außerdem wird Systemdienstleistungen im Status Quo oft kein Wert beigemessen, da sie von konventionellen Kraftwerken zurzeit noch unentgeltlich erzeugt werden. Hier haben wir mit unserem Konzept zum Systemmarkt einen Vorschlag eingebracht, der die Probleme des derzeitigen Marktdesigns adressiert und konkrete Lösungsvorschläge bereithält.
Dr. Annette Nietfeld: Welchen Anforderungen sollte ein solches Strommarktdesign genügen?
Dr. Hans-Jürgen Brick: Das Strommarktdesign hat in letzter Konsequenz zum Ziel, den Markt mit der Physik zusammenzubringen. Hätten wir eine europaweite Kupferplatte, und wären Angebot und Nachfrage stets perfekt vorhersehbar, dann wären die Anforderungen an das Strommarktdesign überschaubar. In der Praxis erleben wir aber begrenzte Netzkapazitäten und mit der fortschreitenden Energiewende wird das Stromangebot immer volatiler. Das Marktdesign muss auf diese Probleme reagieren. Grundsätzlich müssen knappe Ressourcen einen Wert erhalten: Werden mit dem Kern- und Kohleausstieg Produkte wie die Blindleistungsbereitstellung knapp, so sollte ihnen das Marktdesign einen Wert zuschreiben. Bleiben Investitionen in moderne Gaskraftwerke aus, weil sie nicht rentabel sind, sollte es auch hierfür einen Wert geben – das Stichwort lautet Kapazitätszahlungen. Unser Konzept zum Systemmarkt greift diese Punkte auf. Aus unserer Sicht ist bei der Reform des Marktdesigns zentral, dass die marktlichen Anreize technologieneutral sind, damit sich die effizienteste und volkswirtschaftlich sinnvollste Lösung durchsetzt.
Dr. Annette Nietfeld: Ein neues Strommarktdesign sollte meines Erachtens nach in jedem Fall in den europäischen Strombinnenmarkt integriert sein. Das erschwert die Erstellung zusätzlich, da die verschiedenen Mitgliedsländer in der EU unterschiedliche Interessen verfolgen und verschiedene Ausgangssituationen haben. Wie könnte Ihrer Meinung nach ein gesamteuropäisches Strommarktdesign aussehen?
Dr. Hans-Jürgen Brick: Das Strommarktdesign muss auf die örtlichen Gegebenheiten angepasst sein. Die Mitgliedstaaten unterscheiden sich zum Teil gravierend in der Erzeugung, der Übertragung sowie im Verbrauch von Strom. Wichtig ist, dass die Strommärkte im ENTSO-E-Verbund den gleichen Prinzipien folgen und ein länderübergreifender Stromhandel möglich ist. Interkonnektoren wie ALEGrO, die erste Gleichstromverbindung zwischen Belgien und Deutschland, helfen beim Aufbau eines integrierten europäischen Stromnetzes. Denn die Energiewende wird am effizientesten gelingen, wenn wir uns im europäischen Verbund gegenseitig aushelfen können. Solarstrom sollte vom Süden in den Norden fließen können und Windenergie vom Norden in den Süden, um zwei plakative Beispiele zu nennen. Gemeinsam werden wir die Klimaziele leichter erreichen und dabei das hohe Niveau der Versorgungssicherheit erhalten.
Dr. Annette Nietfeld: Vielen herzlichen Dank, Herr Dr. Brick. Ich freue mich darauf mit Ihnen zusammen unsere Konferenz „ENERGIE.CROSS.MEDIAL“ 2022 zu wuppen.