Interview mit Ingbert Liebing (VKU)
Interview mit Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer,
Verband kommunaler Unternehmen e. V. (VKU)
Dr. Annette Nietfeld: Das Thema Strom- und Gaspreise dominiert im Moment in der öffentlichen Wahrnehmung. Können wir uns die Energiewende überhaupt noch leisten?
Ingbert Liebing: Da werden in der Debatte oftmals verschiedene Aspekte miteinander vermischt. Dass die Gas- und Strompreise aktuell angezogen haben, hatte unterschiedliche Ursachen. Maßgeblich ist dabei vor allem die weltweit steigende Erdgasnachfrage wegen der anziehenden Konjunktur. Die LNG-Tanker haben sich hier vor allem zunächst nach Südostasien und auch nach Südamerika aufgemacht. Dazu kamen in Deutschland niedrige Füllstände bei den Gasspeichern wegen eines kalten letzten Winters. Das alles hat dazu geführt, dass der Gaspreis und dann auch der Strompreis an den Großhandelsmärkten durch die Decke gingen. Mit der Energiewende hat das nur insofern zu tun, als dass wir wenig Windeinspeisung hatten, die preisdämpfend gewirkt hätte. Aber gerade das zeigt: Mehr Erneuerbare Energien haben eigentlich einen positiven Effekt auf die Energiepreisentwicklung.
Dr. Annette Nietfeld: Aber den Ausbau der Erneuerbaren Energien gibt es ja auch nicht zum Nulltarif.
Ingbert Liebing: Das ist richtig. Die Energiewende kostet Geld. Sie ist aber eine Investition in unsere Zukunft. Es ist richtig, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien in Zukunft nicht mehr über den Strompreis finanziert werden soll. Ich werbe daher dafür, die EEG-Umlage so schnell wie möglich abzuschaffen, um die Stromkunden zu entlasten. Allerdings: Das kann nur ein erster Schritt sein. Wir müssen die Finanzierung der Energiewende auf neue Füße stellen. Wir brauchen eine Reform der Entgelte, Umlagen und Steuern im Energiebereich. Ziel muss ein sektorübergreifender CO2-Preis sein, der eine Lenkungswirkung hin zu klimafreundlichen Technologien entfaltet. Und um das auch noch einmal deutlich zu machen, weil es da offenbar immer noch Akteure gibt, die das nicht richtig verstanden haben. Die Abschaffung der EEG-Umlage beim Strompreis bedeutet nicht die Abschaffung der EEG-Förderung. Natürlich muss der Ausbau der Erneuerbaren Energien weiterhin gefördert werden. Diese Förderung wird eben nicht mehr über den Strompreis direkt finanziert.
Dr. Annette Nietfeld: Wegen der aktuellen Energiepreisentwicklung haben jetzt viele Stadtwerke den Grundversorgerpreis in einen Bestands- und einen Neukundenpreis aufgeteilt. Dafür gab es etwa von den Verbraucherschützern Kritik. Wie gehen Sie damit um?
Dr. Annette Nietfeld: Aber ist das nicht genau die Aufgabe der Grundversorgung?
Ingbert Liebing: Die Menschen in der Not aufzufangen und sie weiter mit Strom und Gas zu beliefern, ist Aufgabe der Grundversorgung. Das haben die Stadtwerke gemacht – auch im Gegensatz zu einigen nichtkommunalen Grundversorgern, die mit Hinweis auf die mangelnde Wirtschaftlichkeit die Grundversorgung verweigert haben. Das ist aber nicht unser Verständnis von Daseinsvorsorge. Wir sind auch in schwierigen Situationen ein Stabilitätsanker. Was ich allerdings noch einmal deutlich machen will: Die Grundversorgung ist für die Menschen da. Sie ist nicht dafür da, schiefe Geschäftsmodelle abzusichern.
Dr. Annette Nietfeld: Verbraucherschützer sagen, dass es gerechter wäre, wenn alle den gleichen Grundversorgertarif zahlen.
Ingbert Liebing: Was die Verbraucherschützer dabei gern unerwähnt lassen: Das bedeutet, dass die gestiegenen Beschaffungskosten für die Ex-Kunden der Discounter von allen Kunden in der Grundversorgung getragen werden müssten. Das sind oftmals Kunden, die mangels Bonität nicht von anderen Stromversorgern genommen werden, auch nicht – oder vielmehr gerade nicht – von Discountern. Und diese Kunden sollen jetzt für eine Misere zahlen, mit der sie nichts zu tun hatten. Die hatten auch nichts davon, dass andere bei den Discountern vorher gespart haben. Diese Neukunden können jetzt in der Regel auch kurzfristig wieder zu einem Stromvertrag außerhalb der Grundversorgung wechseln. Für viele Bestandskunden in der Grundversorgung ist das aus den oben genannten Gründen so nicht möglich.
Dr. Annette Nietfeld: Daseinsvorsorge, langfristige Beschaffung: das klingt alles etwas angestaubt.
Ingbert Liebing: In der öffentlichen Wahrnehmung wird Schnelligkeit oft mit Innovativität verwechselt. Richtig ist, dass die Stadtwerke in der Regel langfristig beschaffen. Damit verfolgen sie eine nachhaltige Beschaffungsstrategie, um das Preisrisiko von Kunden so fern wie möglich zu halten. Der ganze Vorgang hat aber auch noch einmal gezeigt, dass das System der Grundversorgung ein hohes schützenswertes Gut ist. Aber nur weil die Stadtwerke „konservativ“ Energie beschaffen, heißt es nicht, dass sie nicht innovativ wären. Im Gegenteil: Stadtwerke sind ein wesentlicher Treiber für Innovationen vor Ort, gerade in den so wichtigen Bereichen Energiewende, Klimaschutz und Digitalisierung.
Dr. Annette Nietfeld: Können Sie konkrete Beispiele nennen?
Ingbert Liebing: Sie können sich vorstellen, dass es nicht leicht ist, mich bei über 1500 kommunalen Unternehmen in den Bereichen Energie- und Wasserversorgung sowie Abwasser und Abfallentsorgung auf wenige Beispiele zu beschränken. Aber dennoch will ich zwei Beispiele nennen. In Bad Nauheim erproben die dortigen Stadtwerke in einem Neubauprojekt ein ganz neues Quartierskonzept. In einer Art „Rundum-Sorglos-Paket“ für die Kälte- und Wärmeversorgung in diesem neuen Stadtquartier werden die Potenziale der Digitalisierung mit neuesten nachhaltigen Energielösungen kombiniert. Dabei werden sämtliche Infrastrukturen zusammengedacht und vor allem Klimaschutz und Komfort für die Bewohner zusammengebracht.
Dr. Annette Nietfeld: Und das zweite Beispiel?
Ingbert Liebing: Da möchte ich ein Beispiel aus dem Bereich Mobilität nennen. Die tws aus Ravensburg hat mit „tws.mobil“ eine Mobilitätsplattform geschaffen. Sie bietet eine nahtlose TürzuTürReisebegleitung inklusive Planung, Buchung, Abrechnung in der Region an. Dieses Modell geht weit über den Ansatz hinaus, lose Mobilitätsbausteine über eine Plattform miteinander zu verknüpfen: Hier werden neben den Mobilitätsangeboten auch Nutzergruppen, bestimmte Dienstleistungen, wie ÖPNV, E-Bike- und Carsharing, Produkte miteinander verbunden.
Um das Gesagte noch einmal auf den Punkt zu bringen: Unsere Rolle als Grundversorger und gleichzeitig das Voranbringen innovativer maßgeschneiderter Lösungen lässt sich vielleicht in einem maritimen Bild etwas verdeutlichen: Für die Menschen sind wir der sichere Hafen, der jeden Gestrandeten aufnimmt, gleichzeitig sind die kommunalen Unternehmen aber auch die Schnellboote vor Ort, wenn es um Innovationen in den Kommunen geht.