Interview mit Torsten Schein (DB Energie GmbH)
Torsten Schein, Vorsitzender der Geschäftsführung DB Energie GmbH und Mitglied des Vorstandes im Forum für Zukunftsenergien, mit Blick auf das Engagement der DB Energie im Rahmen von „ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2020“ am 10. und 11. März 2020
Dr. Annette Nietfeld: Wenn es um die Energie- und Verkehrswende geht, kommt die Gesellschaft an der Deutschen Bahn (DB) nicht vorbei. Auf der einen Seite soll mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagert werden und auf der anderen Seite hat sich der Konzern das Ziel gesetzt, bis 2050 CO2-neutral zu sein. Die DB kann damit gleich doppelt einen sichtbaren Beitrag zum Klimaschutz leisten, wenn die Energie- und Verkehrswende miteinander in Einklang gebracht werden.
Warum ist es bei der DB so wichtig, dass Energie- und Verkehrswende Hand in Hand gehen?
Torsten Schein:Die DB orientiert sich mit ihrer neuen Strategie „Starke Schiene“ an den verkehrs- und klimapolitischen Zielen des Bundes. Im Ergebnis wird dies eine Verdopplung der Reisendenzahlen im Schienenpersonenverkehr mit sich bringen. Hinzu kommen eine Erhöhung des Anteils der Schiene am Güterverkehr auf 25 Prozent sowie 30 Prozent mehr Kapazität in der Infrastruktur. Und mit der Zielgröße 100 Prozent Anteil erneuerbarer Energien hat sich die DB ein weiteres ambitioniertes Ziel gesetzt.
Die DB ist bereits heute der größte Energieverbraucher und Abnehmer von Grünstrom in Deutschland. Wenn nun im Zuge der Verkehrswende mehr Personen und Güter auf der Schiene transportiert werden sollen, so wird auch der Energiebedarf weiter zunehmen. Um eine sichere Energieversorgung zu gewährleisten, müssen diese beiden Bereiche eng miteinander synchronisiert werden. Hinzu kommt, dass eine Verkehrsverlagerung auf die Schiene für den Klimaschutz nur dann einen effektiven Nutzen hat, wenn die Energie für den Zugbetrieb aus erneuerbaren Energiequellen stammt. Ganz im Sinne der Konferenz „ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2020“ ist hier eine echte Konvergenz der beiden Themen notwendig.
Dr. Annette Nietfeld: Die DB hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2038 den Anteil von Erneuerbaren Energien am Bahnstrom für den elektrifizierten Schienenverkehr auf 100 Prozent zu steigern. Dieser Zeitpunkt fällt mit dem politisch gesetzten Zeitpunkt für das Ende der Kohleverstromung zusammen. Insofern passt das gut zusammen. Aber wie deckt die DB dann zukünftig Ihren hohen Bedarf an Erneuerbaren Energien?
Torsten Schein: Die DB Energie wird konsequent den bereits begonnenen Weg fortsetzen und sich schrittweise von den vorhandenen fossilen Kraftwerksverträgen trennen. Im Gegenzug bauen wir ein breites Grünstromportfolio auf, das uns je nach aktueller technologischer und wirtschaftlicher Situation ein flexibles Handeln ermöglicht. Wir nutzen insbesondere unterschiedlichste Beschaffungswege und steigern unter anderem damit unsere Attraktivität als großer Stromabnehmer. Neben den Instrumenten eines Handelsbezugs und direkten bilateralen Verträgen (PPA) sind wir auch ganz neue Wege über eine EU-weite Ausschreibung von Rahmenverträgen für die Belieferung mit Erneuerbaren Energien gegangen. Wir sind überzeugt, dass uns dieser Weg bis 2038 zum Ziel führen wird.
Dr. Annette Nietfeld: Können Sie dazu ein paar konkrete Beispiele nennen?
Torsten Schein:Das jüngste Beispiel ist der Abschluss eines Vertrages zur direkten Einspeisung von Solarstrom in das Bahnstromnetz im schleswig–holsteinischen Wasbek. Über den neu errichteten Solarpark mit einer Leistung von 42 MW werden wir zukünftig rund 38 GWh Grünstrom pro Jahr beziehen. Bereits in 2019 haben wir einen Vertrag geschlossen, über den der Offshore-Windpark „Nordsee Ost“ ab 2024 über 5 Jahre mit rd. 80 GWh p.a. zur Deckung des Strombedarfs im Bahnstromnetz beitragen wird. Und nicht zu vergessen sind unsere bestehenden Lieferverträge mit Laufwasserkraftwerken in Deutschland, die bereits heute einen wesentlichen Beitrag zu dem Erneuerbaren Energien-Anteil von 60 Prozent in 2019 beitragen.
Dr. Annette Nietfeld:Sie haben eben die Direkteinspeisung von Solarstrom in das Bahnstromnetz erwähnt. Welche technologischen Besonderheiten bei der Einspeisung von Erneuerbaren Energien für den Bahnstrom gilt es zu berücksichtigen?
Torsten Schein:Die bestehende Infrastruktur des Bahnstromnetzes muss auf die zunehmend dezentrale Einspeisung von Erneuerbaren Energien ausgerichtet werden. Heute haben wir einige wenige große Kraftwerke, die das Bahnstromnetz versorgen. Zukünftig werden diese im Zuge der Erhöhung des EE-Anteils durch viele kleine Erzeugungsanlagen für Grünstrom abgelöst werden. Hierfür müssen wir die entsprechenden technologischen Voraussetzungen, z. B. mit zusätzlichen Umrichtern, schaffen. Auch hier ist es wichtig, dass wir technologisch flexibel bleiben und unterschiedliche Einspeisungswege ermöglichen. Neben einer Direkteinspeisung in das Bahnstromnetz werden wir z. B. auch weiterhin den Weg über die Einspeisung aus dem öffentlichen Netz gehen. Neben den flexiblen Beschaffungswegen trägt auch das dazu bei, dass wir den Kreis der potenziellen Grünstromlieferanten möglichst groß machen.
Dr. Annette Nietfeld: Der Einsatz von Wasserstoff wird von Politik und Wirtschaft in breitem Konsens als eine Schlüsseltechnologie im Rahmen der Energiewende gesehen. Welche Rolle spielt der Wasserstoff für die Energieversorgung bei der DB?
Torsten Schein:Mal abgesehen davon, dass auch wir den Wasserstoff als eine wichtigen technologischen Ansatz zur Speicherung von Erneuerbaren Energien (Stichwort P-2-X) sehen, spielt er ganz konkret im Schienenverkehr eine zunehmende Rolle beim Ersatz von Dieselschienenfahrzeugen. Bislang sind in Deutschland nur knapp über 60 Prozent des Schienennetzes durch Oberleitungen elektrifiziert. Auf den elektrifizierten Strecken wird zwar rund 90 Prozent der Verkehrsleistung erbracht, aber der SPNV wird in großen Teilen noch mit Dieselfahrzeugen betrieben. Da eine vollständige Elektrifizierung des Streckennetzes erst in einem sehr langen Zeithorizont realistisch umsetzbar und in vielen Fällen gar nicht wirtschaftlich sinnvoll wäre, sind hier alternative Antriebstechnologien gefragt. Und Wasserstoffantriebe sind neben Batterieantrieben und synthetischem Diesel eine der technologischen Lösungen, die von den Fahrzeugherstellern und der DB vorangetrieben werden. Wir als DB Energie entwickeln dafür die benötigten Betankungs- und Ladeinfrastrukturen und setzen diese zusammen mit DB Netz und den Aufgabenträgern des SPNV um.
Dr. Annette Nietfeld: Was erwarten Sie von der zur Zeit in der Ressortabstimmung befindlichen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung?
Torsten Schein:Vergleichbar zur Frage nach der Beschaffung synthetischen Diesels wird auch die schnelle Verfügbarkeit von ausreichend großen Mengen an Wasserstoff ein kritischer Erfolgsfaktor sein. Die Wasserstoffstrategie kann und muss hier entsprechend attraktive Rahmenbedingungen schaffen, um die notwendigen Impulse für die technologische Entwicklung und Markteinführung zu schaffen. Die notwendigen regulatorischen Bedingungen für grünen Wasserstoff sind heute nicht gegeben. Nur wenn die Produktion und der Einsatz von grünem Wasserstoff für alle Beteiligten wirtschaftlich sinnvoll ist, wird ein schneller Hochlauf realistisch sein.
Dr. Annette Nietfeld: Lassen Sie uns nun noch einmal einen Blick auf den Aspekt der Verkehrsverlagerung werfen.Im Rahmen des Klimaschutzgesetzes hat die Bundesregierung die Mehrwertsteuer auf die Ticketpreise der Deutschen Bahn gesenkt. Sie hat das getan, um mehr Verkehrsteilnehmer dazu zu veranlassen, auf die Bahn umzusteigen. Wird das als Anreiz ausreichen?
Torsten Schein:Ein attraktiver Preis ist aus Sicht spezifischer Kundengruppen sicherlich ein entscheidender Anreiz. Das alleine wird aber aus meiner Sicht nicht ausreichen, um das volle Ausmaß der angestrebten Verkehrsverlagerung zu erreichen. Während bei manchen Kunden der Preis wichtig ist, stehen bei anderen Kunden z. B. primär schnelle, zuverlässige Verbindungen mit einer guten Anschlussmobilität und ansprechende Qualität im Vordergrund. Gerade in diese Themen wurde bereits in den vergangenen Jahren viel investiert und darauf wird auch zukünftig ein Fokus liegen. Und zuletzt spielt in der Gesellschaft der Aspekt der Nachhaltigkeit der Mobilität eine zunehmende Rolle. Die Bahn ist bereits heute in Hinsicht klimafreundlichem Verkehr im Vergleich mit anderen Verkehrsträgern in führender Position. Mit zunehmender Vergrünung der DB wird auch hier ein weiterer Anreiz zum Umstieg auf die Bahn entstehen.
Dr. Annette Nietfeld:Die heutige Infrastruktur der DB ist ja bereits durch den heutigen Schienenverkehr an der Kapazitätsgrenze angelangt. Ist unter diesem Aspekt eine signifikante Verkehrsverlagerung auf die Schiene überhaupt realistisch?
Torsten Schein:Eine massive Verkehrsverlagerung wird natürlich nicht von heute auf morgen möglich sein, das ist ein längerer Weg, für den man einen langen Atem braucht. Mit ihrer Wachstumsstrategie ‚Starke Schiene‘ gibt die DB die Antwort, die es für diesen Weg braucht. Der Schlüssel heißt mehr Kapazität: Es wird in diesem Jahrzehnt so viel in die Erneuerung und den Ausbau des Bestandsnetzes investiert wie nie zuvor, um weitere Kapazität zu schaffen und die Qualität zu steigern. Allein im Jahr 2020 werden 12,2 Milliarden Euro in die Modernisierung der Eisenbahninfrastruktur fließen. Und bis 2030 stehen in Summe rund 170 Milliarden aus Mitteln des Bundes sowie aus Eigenmitteln für Investitionen in die Infrastruktur zur Verfügung. Einen weiteren Beitrag zur Kapazitätssteigerung wird die konsequente Digitalisierung der Infrastruktur leisten, wie sie durch die eigens dafür aufgesetzte Organisationseinheit Digitale Schiene Deutschland GmbH vorangetrieben wird.
Dr. Annette Nietfeld: Im Rahmen der Konferenz „ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2020“ werden Sie einen Vortrag zum Thema „Energie- und Mobilitätswende bei der Deutschen Bahn“ halten und in einer der Sessions werden wir außerdem etwas über die Ideen der Deutschen Bahn zu nachhaltigen Logistikkonzepten erfahren. Worauf werden sich die Teilnehmer dieser Konferenz mit Blick auf diese Themen freuen dürfen?
Torsten Schein:In meinem Vortrage werde ich ausführlicher unseren Weg als DB Energie aufzeigen, wie bei gleichzeitig steigenden Anforderungen durch die Verkehrswende die Ziele der DB hinsichtlich einer vollständig grünen Energieversorgung erreicht werden können. Dies greift dann nicht nur die oben bereits angerissenen Punkte der Vergrünung des eigentlichen Schienenverkehrs auf, sondern berücksichtigt auch die wichtigen Aspekte der Wärmewende und Vergrünung von stationärer Energie in Bahnhöhen, Werken und anderen Liegenschaften der DB. Zuletzt spielt auch eine durchgängig grüne Mobilitätskette, die die Straße mit einbezieht, eine Rolle. Hierzu können wir als DB Energie mit Bereitstellung von Ladeinfrastruktur an Mobilitätsknotenpunkten einen Beitrag leisten. In der Session „Mobilität“ wird dann ein Kollege aus Sicht eines Logistikers einen Blick auf nachhaltigen Transport auf der Straße richten. Neben alternativen Antrieben für LKW und Transporter sind hier auch ganz neue Logistikkonzepte gefragt, die die unterschiedlichen Anforderungen des Transports im urbanen Umfeld und auf langen Strecken berücksichtigt.
Dr. Annette Nietfeld: Das klingt sehr interessant und die Besucher dürfen in der Tat gespannt sein. Was erwarten Sie sich selbst von „ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2020“?
Torsten Schein:Wie bereits dargelegt, müssen Energie- und Verkehrswende Hand in Hand gehen, um erfolgreich zu sein. Dazu ist es von zentraler Bedeutung, die unterschiedlichen Akteure an einen Tisch zu bringen und diese Themen übergreifend zu diskutieren. Mit den Vortragenden und Teilnehmern aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft über verschiedene Branchen hinweg bietet die Konferenz hierfür eine gute Plattform für uns. Von daher freue ich mich auf diese Dialogmöglichkeit und hoffe, dort auf viele interessierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu treffen.