Interview mit Prof. Dr.-Ing. Christian Küchen (MWV)
Dr. Annette Nietfeld im Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Christian Küchen
Am 10. und 11. März 2020 diskutieren bei ENERGIE.CROSS.MEDIAL zahlreiche Experten sektorenübergreifend darüber, wie die verschiedenen Branchen die energie- und klimapolitischen Herausforderungen der kommenden Jahre gemeinsam meistern können.
Prof. Dr.-Ing. Christian Küchen, Hauptgeschäftsführer des Mineralölwirtschaftsverbands (MWV) e.V. in Berlin, hält am zweiten Tag, dem 11. März, um 10 Uhr seinen Vortrag zum Thema „Grüne Moleküle und grüne Elektronen. Wie bringen wir die erforderlichen Technologien für Industrie, Wärme und Mobilität im industriellen Maßstab voran“. Mit ihm sprach vorab Dr. Annette Nietfeld, Geschäftsführerin des Forums für Zukunftsenergien.
„Mit erneuerbaren Kraftstoffen ist ein Riesensprung beim Klimaschutz möglich“
Dr. Annette Nietfeld: Herr Professor Küchen, der Mineralölwirtschaftsverband engagiert sich für das Forum ENERGIE.CROSS.MEDIAL am 10. und 11. März in Berlin. Warum?
Prof. Christian Küchen: Ein solches Forum, auf dem hochrangige Fachleute der Energie-, Verkehrs- und Wärmewende für zwei Tage zusammenkommen, ist geradezu überfällig. Hier treffen wir als Mobilitäts- und Wärmeanbieter mit Energieversorgern, Stromnetzbetreibern, Wohnungswirtschaft sowie NGOs, Wissenschaft und Politik zusammen.
Dr. Annette Nietfeld: Was erwarten Sie von dem neuen Format?
Prof. Christian Küchen: Für uns ist klar: Die Ziele sind für alle Sektoren und Industriezweige so ambitioniert, dass Klimaschutz-Lösungen nur gemeinsam entwickelt werden können. Es geht jetzt darum, einen großen Schritt in der Zusammenarbeit der einzelnen Sektoren voranzukommen.
Dr. Annette Nietfeld: Wie schätzen Sie die Ausgangslage Ihrer Branche zu Beginn dieses im Klimaschutz entscheidenden Jahrzehnts ein?
Prof. Christian Küchen: Unsere Branche unterstützt die Pariser Klimaziele uneingeschränkt. Aber das bedeutet auch: Wir müssen uns praktisch neu erfinden. Denn in der Mineralölindustrie sind nicht nur wie in anderen Branchen die Produktionsprozesse von den Klimazielen betroffen, sondern auch die Produkte selbst.
Dr. Annette Nietfeld: Was muss sich ändern?
Prof. Christian Küchen: Ganz klar: Die Produkte müssen künftig zunehmend aus erneuerbaren Rohstoffen hergestellt werden. Damit ist auch die Herausforderung für uns weitaus größer als etwa bei Stahl, Zement oder Chemie. Und: Der Umstieg muss schon in dieser Dekade substanziell beginnen, wollen wir die Klimaziele erreichen.
Dr. Annette Nietfeld: Ihre Branche steht für Mobilität und Wärme, ist aber auch Vorlieferant der chemischen Industrie. Im welchem Bereich sehen Sie die größte Herausforderung auf dem Weg in die Null-Emissions-Ökonomie?
Prof. Christian Küchen: Eindeutig im Verkehrssektor – hierhin gehen immerhin 60 Prozent unserer Produkte. Nach dem Klimaschutzgesetz müssen die CO2-Emissionen bis 2030 um 42 Prozent sinken. Aber: Selbst bei zehn Millionen Elektrofahrzeugen wird der ganz überwiegende Teil der Pkw und Nutzfahrzeuge weiterhin mit Verbrennungsmotor unterwegs sein. Zum Erreichen der Klimaziele benötigen wir also höhere Anteile erneuerbarer beziehungsweise treibhausgasneutraler Kraftstoffe.
Dr. Annette Nietfeld: Das Bundesumweltministerium hat sich diesbezüglich bislang gegen Pkw ausgesprochen …
Prof. Christian Küchen: … Ohne eine politische Kurskorrektur werden wir aber unsere Klimaziele nicht erreichen.Berechnungen zufolge beträgt die CO2-Lücke im Verkehr bis 2030 mindestens 19 Millionen Tonnen. Wir brauchen also erhebliche Mengen fortschrittliche Biokraftstoffe und zusätzlich synthetische Kraftstoffe, also E-Fuels. Diese können bis 2035 zur Verfügung stehen, wenn jetzt die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden.
Dr. Annette Nietfeld: Wie schaffen wir den Weg zu mehr Klimaschutz im Verkehr in der Praxis?
Prof. Christian Küchen: Weil erneuerbare Kraftstoffe zumindest in der Phase des Markthochlaufs noch deutlich teurer sind als herkömmliche Kraftstoffe, sind dafür zwei Faktoren entscheidend: Es muss ein relevanter Markt sein, und es muss eine hohe Zahlungsbereitschaft bestehen. Hier bietet sich gerade der Pkw-Sektor an. Mit einem hohen CO2-Preissignal auf die herkömmlichen Kraftstoffe entsteht dann ein Geschäftsmodell für erneuerbare Kraftstoffe – ohne die Verbraucher finanziell stärker zu belasten als heute. Dazu brauchen wir die Umstellung der heutigen Energiesteuer zu einer CO2-Bepreisung.
Dr. Annette Nietfeld: Das geht aber nicht ohne die EU.
Prof. Christian Küchen: Richtig. Die EU muss die Energiesteuerrichtlinie so anpassen, dass die Energiesteuer voll in eine CO2-Bepreisung umgewandelt werden kann. Die EU kann aber noch mehr für den Klimaschutz im Verkehr tun …
Dr. Annette Nietfeld: … und zwar?
Prof. Christian Küchen: … die Anrechnung der erneuerbaren Kraftstoffe im Rahmen ihrer CO2-Flottenregulierung ermöglichen. Hierfür dürfen aber nur zusätzliche Mengen erneuerbarer Kraftstoffe zählen. Es sollte keine Doppelzählung von Mengen geben, die bereits auf die geltenden Verpflichtungen der Mineralölwirtschaft zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen angerechnet werden. Ist das erfüllt, wird das zusätzliche Angebot sofort als CO2-mindernd gezählt, und Strafzahlungen der Autohersteller werden vermieden. Wenn Biofuels und E-Fuels beim Fahrzeugverbrauch in der EU als treibhausgasarm oder -neutral anerkannt werden, machen wir beim Klimaschutz einen Riesensprung nach vorne.
Dr. Annette Nietfeld: Vielen Dank für das Interview. Wir freuen uns auf Ihren Vortrag bei ENERGIE.CROSS.MEDIAL.