Interview mit Susanne Fabry (E.ON SE)
Dr. Annette Nietfeld im Gespräch mit Susanne Fabry (Leiterin Steuerung Deutsche Netze, E.ON SE)
Dr. Annette Nietfeld: Was erwarten Sie sich bzw. E.ON von dem neuen Veranstaltungsformat „ENERGIE.CROSS.MEDIAL“?
Susanne Fabry:Der konzeptionelle Ansatz von „ENERGIE.CROSS.MEDIAL“ hat uns überzeugt, dabei zu sein. Hier sind die Netzbetreiber nicht unter sich, um die Netzthemen zu diskutieren. Dafür gibt es einige Veranstaltungen. Bei „ENERGIE.CROSS.MEDIAL“ kommen neben den Netzbetreibern auch Vertreter der energieintensiven Industrie, der Mobilitätsanbieter, der Wohnungswirtschaft und der Technologieanbieter zusammen, um gemeinsam die Ideen der jeweils anderen Branchen zu diskutieren und dabei die eigenen spezifischen Anforderungen und Möglichkeiten einzubringen.
Dr. Annette Nietfeld: Durch die Übernahme von innogy wird E.ON zu einem der größten europäischen Energie-Unternehmen. Wo sehen Sie die Vorteile dieser Übernahme?
Susanne Fabry: Mit der gebündelten Erfahrung in der Entwicklung von innovativen Lösungen aus beiden Unternehmen reizen wir die Möglichkeiten der erneuerbaren Energien voll aus – egal ob es um Netze oder Kundenlösungen bei Strom und Gas geht. Und mit unserer künftig noch stärkeren internationalen Präsenz können wir unseren Kunden noch gezielter dabei helfen, Energie effizienter zu nutzen, Kosten zu senken sowie ihren CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Städte und Gemeinde werden wir noch gezielter vor Ort bei einer nachhaltigen Stadtentwicklung z.B. durch innovative Quartierslösungen unterstützten können und gemeinsam die Energiewende aktiv voranbringen.
Dr. Annette Nietfeld: Die „neue E.ON“ betreibt nach der Integration von Innogy nun 700.000 km Stromnetz 100.000 km Gasnetz. Welche Potentiale liegen in den Netzen für die Kopplung der verschiedenen Verbrauchssektoren und damit für die Dekarbonisierung von Wärme, Mobilitäten und industriellen Prozessen?
Susanne Fabry:E.ON bekennt sich schon seit langem uneingeschränkt zu den Klimaschutzzielen 2030 und 2050, die sich Deutschland und die EU gesetzt haben. Bei der Erreichung dieser Ziele kommt den Verteilnetzen eine entscheidende Bedeutung zu:
Die erneuerbare Energiewelt von morgen wird zunehmend dezentral: schon heute sind 95 % der EE-Anlagen deutschlandweit im Verteilnetz angeschlossen. Auch die Sektorkopplung wird größtenteils im Verteilnetz umgesetzt werden. Nur durch die intelligente Verknüpfung von Strom- und Gasinfrastrukturen werden wir die erneuerbaren Energien optimal nutzen und in das Gesamtsystem integrieren können. Was im Strom schon Realität ist, wird deswegen zunehmend auch für Gas gelten: Erzeugung und Gewährleistung von Versorgungssicherheit werden auch dezentral stattfinden.
So können Power-to-Gas (P2G)-Anlagen dezentral erzeugten Strom aus Windkraft- und Solaranlagen in „grünes“ Gas umwandeln. Dieser „grüne“ Wasserstoff oder – in einem weiteren Schritt erzeugtes synthetisches Methan – kann direkt in die Gasverteilnetze eingespeist werden. Lokal und effizient kann das „grüne“ Gas direkt beim Kunden zur Dekarbonisierung der Wärmeversorgung, von Mobilitätsanwendungen und industriellen Prozessen eingesetzt werden. Gleichzeitig können wir damit aber auch Schwankungen in der Erzeugung erneuerbarer Energie ausgleichen und eine langfristige und sichere Möglichkeit der Energiespeicherung bereitstellen.
E.ON hat die Möglichkeit, mit seinen neun deutschen Regionalversorgern vor Ort CO2-arme und CO2-freie Energie direkt zum Endkunden zu bringen. Schon heute stammen in den E.ON Netzgebieten durchschnittlich mehr als 80 % des Stroms aus erneuerbaren Quellen. Genau diese Voraussetzungen ermöglichen es E.ON, als regionaler Energiewendepartner mit Strom- und Gasverteilnetzen, die Dekarbonisierung der Gasnetze und die Sektorkopplung als zentrales Element der Energiewende systemisch zu verstehen und mit großem Potential umzusetzen. Mit unserer langjährigen Expertise sowohl im Strom- als auch im Gassektor und der vorhandenen Infrastruktur wollen wir zum Wegbereiter der P2G-Technologie werden.
Dr. Annette Nietfeld:Was braucht es, um den Plan der Dekarbonisierung der Verbrauchssektoren mittels „grünem“ Gas sowie die Nutzung von PtG als Flexibiltäts- und Speicherinstrument Wirklichkeit werden zu lassen?
Susanne Fabry:Die Antwort ist so einfach wie die Umsetzung herausfordernd ist: Denn wir brauchen einen Markthochlauf von PtG und müssen gleichzeitig die Gasnetze Wasserstoff-tauglich machen. Und dazu braucht es – neben einem überarbeiteten ordnungspolitischen Rahmen – vor allem Forschungs- und Pilotprojekte.
E.ON hat dazu im letzten Jahr die bundesweite Initiative „Grünes Gas aus Grünem Strom“ gestartet. Mit dieser Initiative wollen wir einen wesentlichen Beitrag zur CO2-Reduktion in den Bereichen Wärme, Verkehr und Industrie leisten. Wir sehen hier hohes Potenzial durch die Kopplung der bestehenden, dezentralen Energieinfrastrukturen. Und wir bringen so erneuerbare Energien effizient in alle Sektoren und damit die Energiewende 2.0 voran.
Die Projekte der E.ON Initiative – vielfach zusammen mit starken Partnern – sind breit aufgestellt und umfassen sowohl Forschung als auch Praxis. Dabei verknüpfen wir bestehende Infrastrukturen mit innovativen Technologien. Wir erforschen eingehend, welche Infrastrukturen in der Energiewelt von morgen gebraucht werden und welche Anforderungen an diese bestehen. Zusätzlich werden die Anforderungen an die Marktrahmenbedingungen für eine Wirtschaftlichkeit von P2G/„grünem“ Gas identifiziert.
Dr. Annette Nietfeld: Frau Fabry, können Sie uns hier einige Beispiele zu den erwähnten Projekten geben?
Susanne Fabry:Ja, sehr gerne. Wir sind beispielsweise gerade dabei, die technische Analyse aller Bauteile der E.ON-Gasnetze, der Haushaltsinstallationen sowie der Endgeräte zur H2-Verträglichkeit durchzuführen. Dabei wird identifiziert, welche Maßnahmen für eine höhere Wasserstofftoleranz bis zu 100 Prozent erforderlich sind. Wir können jetzt schon sagen, dass für eine 20 – 30 prozentige Beimischung von H2 zum Erdgas aus Sicht der Netze keine grundsätzlichen Bedenken bestehen. Laboruntersuchungen haben auch gezeigt, dass schon heute viele unterschiedliche Endgeräte mit bis zu 30 Prozent Wasserstoffzumischung betrieben werden können. Hier erfolgt eine enge Zusammenarbeit mit den Herstellern. Da das technische Regelwerk derzeit weniger zulässt, als technisch möglich ist, sind entsprechende Anpassungen zusammen mit dem Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) erforderlich. Partner nach einer ersten internen Projektphase sind inzwischen diverse andere VNBs sowie ein Forschungsinstitut des DVGW.
Dr. Annette Nietfeld: So die theoretischen Erkenntnisse. Die Herausforderungen werden aber bestimmt auch in der Praxis bestehen. Gibt es zu den theoretischen Forschungsergebnissen zur Wasserstofftoleranz der Netze und der Endgeräte auch schon praktische Erfahrungen?
Susanne Fabry:Die entscheidende Frage ist, ob – neben der Eignung der Netzbauteile – die installierten Gasgeräte beim Kunden auch unter Praxisbedingungen über einen längeren Zeitraum zuverlässig mit diesem Brenngasgemisch betrieben werden können. Dazu gibt es bisher keine praktischen Erfahrungen, da es aktuell kein Gasnetz gibt, das mit einer Zumischung von 20 Volumen-Prozent Wasserstoff betrieben wird. Daher haben wir hierzu ein bislang einmaliges Projekt in Deutschland in einem Teilnetz unseres Regionalversorgers Avacon in Sachsen-Anhalt in der Region Fläming gestartet: Wir werden dem Erdgas dort erstmalig einen Anteil von bis zu 20 Volumenprozent Wasserstoff beimischen. Das Gemeinschaftsprojekt mit dem DVGW soll zeigen, dass es machbar ist, Wasserstoff zu einem deutlich höheren Prozentsatz in ein existierendes Gasnetz einzuspeisen, als dies heute im Regelwerk vorgesehen ist.
Im Vorfeld der Wasserstoffeinspeisung testet Avacon bis zu 400 Heizungen und andere Endgeräte ihrer Kunden in einigen Orten der Region Fläming „auf Herz und Nieren“. Hierdurch erreichen wir auch eine hohe Akzeptanz bei den Kunden. Die Wasserstoffbeimischung soll nach derzeitigem Planungsstand dann Ende 2022 beginnen. Die Ergebnisse des Gemeinschaftsprojektes sollen als Vorbild für den zukünftigen Einsatz von Wasserstoff in Gasverteilnetzen dienen.
Dr. Annette Nietfeld: Frau Fabry, wie ergänzen die Projekte der bisherigen Innogy im Bereich Wasserstoff die E.ON „Initiative Grünes Gas aus Grünem Strom“?
Susanne Fabry:Auch innogy entwickelt ihre Infrastruktur zielgerichtet für Gase mit verringertem CO2-Gehalt und erprobt die Anwendung in verschiedenen Pilotprojekten. Jüngstes Beispiel ist hier das Projekt „SmartQuart“, das als erstes der neuen „Reallabore der Energiewende“ des Bundeswirtschaftsministeriums am 1. Januar an den Start gegangen ist. Im Rahmen des Projekts werden einzelne Quartiere in den Städten Kaisersesch in Rheinland-Pfalz sowie Essen und Bedburg in Nordrhein-Westfalen jeweils in sich und miteinander vernetzt. So sollen sich die unterschiedlich strukturierten Quartiere im systemischen Verbund nachhaltig und wirtschaftlich ergänzen und Energie untereinander austauschen. Ziel des Projektes ist es, den Einsatz fossiler Energieträger in den Projektquartieren weitgehend überflüssig zu machen. Jedes Quartier hat dabei seinen eigenen Schwerpunkt, in Kaisersesch ist es das Thema Wasserstoff.
In der Gemeinde wird ein wasserstoffbasiertes Microgrid errichtet. Mit diesem lokalen Wasserstoffnetz soll die gesamte Wertschöpfungskette von der Erzeugung, Umwandlung, Speicherung, Verteilung sowie Nutzung regenerativer Energie durch den Endverbraucher erprobt werden: Geplant ist, lokal erzeugten „grüner“ Strom mittels einer geplanten 1-MW-Power-to-Gas-Anlage im Quartier in „grünen“ Wasserstoff umzuwandeln und dann in das lokale Wasserstoffnetz einzuspeisen. Für die Einbindung des Verkehrssektors in das Projekt ist geplant, eine Wasserstofftankstelle an das Microgrid anzuschließen und eine Buslinie mit drei Bussen auf 100 % Wasserstoffbetrieb umzurüsten. Im Wärmesektor soll Wasserstoff in neu entwickelten hocheffizienten Brennnstoffzellen bei verschiedenen Endkunden, z.B. im Rathaus oder diversen Industriekunden, eingesetzt werden, um effizient gekoppelt Strom und Wärme zu erzeugen. Außerdem wird die bei der Elektrolyse sowie die bei der Wasserstoffspeicherung anfallende Abwärme im lokalen Klärwerk genutzt.
Diese Systemlösung bietet die Möglichkeit, die Sektorkopplung zur Dekarboisierung der verschiedenen Verbrauchssektoren in einem Demonstrationsprojekt im realen Umfeld umzusetzen, Erfahrungen mit einer Wasserstoffinfrastruktur inklusive Endanwendung zu sammeln und eine Blaupause für weiter Sektorkopplungslösungen zu schaffen.
Dr. Annette Nietfeld:Frau Fabry, Sie erwähnten die Notwendigkeit zur Anpassung der aktuellen Marktrahmenbedingungen für einen Markthochlauf von „grünem“ Gas. Was meinen Sie damit konkret?
Susanne Fabry:Der noch nicht verabschiedete Entwurf der Wasserstoff-Strategie der Bundesregierung zeigt die klare Absicht, das Thema Wasserstoff ernsthaft mit politischer und auch finanzieller Unterstützung voran zu treiben. Dies geht aus meiner Sicht genau in die richtige Richtung. Wichtig ist allerdings, dass der angekündigte Aktionsplan im Rahmen der Wasserstoffstrategie auch konkrete Maßnahmen für einen Markthochlauf von Power-to-Gas, für entsprechend erforderliche Infrastrukturinvestitionen sowie für die Einbindung von „grünem“ Gas in das zukünftige Energiesystem enthält. Dabei müssen zum einen die Kosten für die Grüngasproduktion nachhaltig gesenkt und zum anderen Absatz-/Erlöspotential für „grünes“ Gas geschaffen werden. Hier ist eine Anpassung des ordungspoltischen Rahmens unabdingbar.
Da „grünes“ Gas aus „grünem“ Strom produziert wird, muss Strom generell günstiger werden, Abgaben und Umlagen müssen sinken: Aufgrund der Tatsache, dass die Power-to-Gas-Anlage kein Endverbraucher ist, die den Strompreis belastenden Bestandteile (Stromsteuer, Mehrwertsteuer und EEG-Umlage) aber Endverbraucherabgaben sind, müssen wir diese bei der Erzeugung von „grünem Gas“ streichen. Und begleitend brauchen wir weitere Forschungs- und Förderungsprogramme sowie eine Überarbeitung des regulatorischen Rahmens zur Investitionsförderung in die Netze. Um den Markthochlauf von Power-to-Gas-Anlagen zu ermöglichen, schlagen wir darüber hinaus jährliche Kapazitätsausschreibungen im Gigawattbereich vor. Gleichzeitig muss der Anteil fossiler Gase kontinuierlich zurückgefahren und der Absatz an „grünem Gas“ gesteigert werden. Dies kann zum einen über eine Beteiligung von fossilen Energieträgern an den Energiewendekosten über eine sachgerechte CO2-Bepreisung erreichet werden oder aber auch durch die Einführung einer technologie- und herkunftsoffenen Grüngasquote.
Ich bin davon überzeugt, Wasserstoff ist kein Hype und kann Realität werden, wenn Politik und Unternehmen in Zukunft die richtigen Schwerpunkte setzen.
Dr. Annette Nietfeld: Frau Fabry, vielen Dank für dieses Interview, wir freuen uns darauf, von Ihnen im Rahmen Ihres Vortrages bei „ENERGIE.CROSS.MEDIAL“ mehr von den verschiedenen Forschungsprojekten zu erfahren und die Ergebnisse – soweit schon vorhandenen – mit den anderen Stakeholdern zu diskutieren.