Interview mit Dr. Daniel Chatterjee (Rolls-Royce Power Systems)
Interview mit Dr. Daniel Chatterjee, Director Technology Management & Regulatory Affairs, Rolls-Royce Power Systems, zur dezentralen Energiewende
Dr. Annette Nietfeld: Welches Charakteristikum verhilft der Energiewende zu einem erfolgreichen Vorhaben?
Dr. Daniel Chatterjee: Dezentralität und innovative, technische Gesamtlösungen sind wesentliche Merkmale für eine gelungene Wende zu einer Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen. Ein zunehmend fossilfreier Energieerzeugermarkt muss räumliche Entzerrung und geringere Energiedichte eines einzelnen Energieträgers gleichsam als gegeben und als Vorteil anerkennen. Für den nachhaltigen Energiemarkt sind unterschiedliche Quellen wie Wind-, Sonnen- und Wasserkraft kennzeichnend. Wenn eine ausfällt, ist die Substitution durch eine andere möglich. Andererseits stehen Erzeugung und Verbrauch, anders als bei fossilen Energieträgern, in einem unmittelbaren Zusammenhang. Scheint die Sonne nicht, oder herrscht Windflaute, wird keine Energie generiert. Diese Ausgangslage erfordert ein erhöhtes Maß an Flexibilität bei der Einspeisung der Energie, aber auch technisches Geschick, um überschüssige Energie zu speichern oder bereitzustellen, wenn sie generiert wird. Für eine erfolgreiche flächendeckende Nutzung erneuerbarer Energien muss die Versorgung sektorenübergreifend gedacht werden. Wasserstoff aus Elektrolyse spielt beispielsweise nicht nur im Stromsektor eine Rolle.
Dr. Annette Nietfeld: Welche regulatorischen Impulse braucht es, um unser Energiesystem klimaneutral zu gestalten?
Dr. Daniel Chatterjee: Bis zum Jahr 2030 muss die Zeit für die Transformation zu einem klimaneutralen Energiesystem dringend genutzt werden. Es muss ein substanzieller Umbau hin zu mehrheitlich erneuerbarer Energie stattfinden. Dazu muss in den kommenden Jahren ein neues, zukunftskompatibles Strommarktdesign entwickelt und umgesetzt werden. Dafür müssen in der Transformation Märkte geschaffen werden, die Investitionsanreize und wirtschaftliches Wachstum versprechen. Leistungen wie Energiespeicherung, Bereitstellung von Grundlast und Regelenergie müssen sich zukünftig wirtschaftlich tragen.
Eine Schlüsselrolle nehmen hierbei dezentrale Lösungen, wie unsere Microgrids von Rolls-Royce Power Systems, ein. Diese dezentralen Systeme bedienen die wachsende Nachfrage nach flexibleren, nachhaltigeren und kostengünstigeren Lösungen für den Energiebedarf und tragen zur Resilienz eines Energiemarktes bei. Anwendung finden Microgrids u.a. in Infrastrukturdiensten, öffentlichen Einrichtungen oder Gewerben. Dort, wo eine Energieversorgung durch das öffentliche Grid nicht möglich ist, z.B. in schwer zugänglichen Regionen oder dort, wo dezentrale Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen gut möglich ist, spielen Microgrids ihre Vorteile aus.
Dr. Annette Nietfeld: Können Sie ein Beispiel nennen, wie drohende Stromschwankungen überwunden werden können? Welche Rolle spielt hierbei H2-Readiness?
Dr. Daniel Chatterjee: In Großbritannien setzt Rolls-Royce Power Systems in sogenannten Short Term Operating Reserve (STOR) Aggregate ein, die das britische Netz bei Schwankungen unterstützen. Mit diesen Einheiten ermöglichen wir es den Kraftwerksbetreibern, das britische Netz durch ein modulares Konzept mit einem flexiblen Betriebskonzept zu unterstützen. Gegenwärtig werden die Aggregatsysteme mit Gas betrieben. Schon heute kann Wasserstoff zugemischt werden, in Zukunft können sie 100% wasserstofffähig sein. Die Anerkennung von Erdgas als Übergangstechnologie gemäß dem Grundsatz der Technologieoffenheit durch die Bundesregierung begrüßen wir sehr. Dies ermöglicht, eine klimafreundliche Transformation des deutschen und globalen Energiesystems sowie der Wirtschaft zu entwickeln.
Dr. Annette Nietfeld: Auf welche Bereiche zielen Ihre Vorstellungen einer geglückten Energiewende ab?
Dr. Daniel Chatterjee: Im Grunde hängen sämtliche energiekonsumierenden Bereiche unseres Lebens von einer erfolgreichen Energieversorgung ab – insbesondere missionskritische Anwendungen der stationären Energieversorgung, etwa Krankenhäuser und Datenzentren oder der verarbeitenden Industrie, aber auch in mobilen Anwendungen von Schiff- und Luftfahrt. Rolls-Royce Power Systems treibt die Transformation in seinen Märkten voran und der Wirtschaftsstandort Deutschland hat in der Transformation viel zu bieten. Sustainable Hightech made in Germany hat global eine große Chance, eine wichtige Rolle zu spielen. Wir treiben so die Dekarbonisierung von Industrien voran, tragen zur wirtschaftlichen Stabilität unseres Landes bei und schaffen zukunftssichere Arbeitsplätze. Ein Beispiel: Die maritime Industrie in Deutschland versorgt rund 40.000 Arbeitsplätze bei einem Umsatz von 80 Mrd. Euro. Rolls-Royce Power Systems als einer der wichtigsten Zulieferer und andere deutsche Unternehmen haben die Chance, die Transformation einer globalen Industrie wesentlich zu beeinflussen.
Dr. Annette Nietfeld: Welche Rolle spielt dabei Wasserstoff?
Dr. Daniel Chatterjee: Die dezentrale Wasserstoff- und Power-to-X-Produktion bietet große Chancen für Deutschland. Diese wird jedoch im Gegensatz zu zentral angelegten Großprojekten nicht ausreichend gefördert. Einer der Gründe dafür ist, dass die Dezentralität der Energiewende noch nicht jedem so bewusst ist. Um den wachsenden Bedarf an Wasserstoff in Deutschland zu decken, werden dezentrale Produktionsanlagen einen wesentlichen Beitrag leisten. Eine entschlossene Förderung ist daher von besonderer Bedeutung.
Dr. Annette Nietfeld: Besonders energiehungrig sind die Luft- und Schifffahrt. Wie können diese Branchen die hohen Anforderungen der Energiewende bewältigen?
Dr. Daniel Chatterjee: Synthetische Kraftstoffe spielen bei der Energiewende und der Nutzung erneuerbarer Energien eine eminente Rolle. Sie ermöglichen die dringend notwendige Sektorkopplung – die Verzahnung einzelner Komponenten des Energiesystems, wie Elektrizität, Mobilität sowie Wärme und Kälte. Mit erneuerbaren Energien produzieren wir Kraftstoffe und elektrifizieren das Gesamtsystem für Antrieb und Energie.
See- sowie auch Binnenhäfen setzen verstärkt auf Wasserstoff-basierende Versorgungsnetze, die mehrere technologisch anspruchsvolle Möglichkeiten der Energieumwandlung und -speicherung umfassen. So dezentral und klimafreundlich plant auch Europas größter Binnenhafen, Duisport in Duisburg, in seinem Leuchtturmprojekt zur nachhaltigen Energieversorgung. Bereits ab 2023 sollen Brennstoffzellen und Wasserstoffmotoren von Rolls-Royce Power Systems eine zunehmend zentrale Rolle für die klimaschonende Energieversorgung des Hafens und der Schiffe spielen.
In der Luftfahrt sind nachhaltige Flugkraftstoffe (SAF) kurzfristig bis mittelfristig die einzige bereits heute verfügbare Option für die Dekarbonisierung des Langstreckenflugverkehrs. Sie sind elementar für die Energiewende in der Luftfahrt, weswegen sich Rolls-Royce aktiv für die gesteigerte Verfügbarkeit in der Luftfahrtindustrie einsetzt. Zurzeit sind SAF allerdings nur zur 50:50-Beimischung zu fossilem Kerosin zugelassen. Alle aktuellen Rolls-Royce Triebwerke können problemlos mit diesen Mischungen betrieben werden. Unsere Triebwerke sind sogar mit 100 % SAF als vollwertiger „Drop-in“-Option kompatibel. Auf Ultra-Kurzstrecken sollen von eVTOL-Flugzeuge – auch bekannt als Urban Air Mobility oder Advanced Air Mobility (AAM) – zum Einsatz kommen.
Mehrere Bereiche des Rolls-Royce-Konzerns entwickeln in Kooperation mit externen Partnern hierfür ein Konzept. Bei der stationären Energieversorgung der so genannten Vertiports zum Laden der eVTOL-Flugzeuge kommen Microgrid-Lösungen von Rolls-Royce Power Systems zum Tragen, die aus erneuerbaren Energien und Brennstoffzellen gespeist werden.